Einleitung
Im sechzehnten Jahrhundert war Antwerpen die bedeutendste Hafen- und Handelsstadt in Westeuropa. Der Reichtum der Stadt lockte viele an. Unter ihnen waren auch italienische Keramiker. Sie versahen Fliesen mit einer speziellen Glasur, die bis dahin in Antwerpen unbekannt war: der undurchsichtigen weißen Zinnglasur. Diese konnte in vielen Farben bemalt werden. Die flämischen Töpfer verarbeiteten bis zu dieser Zeit noch ausschließlich die durchsichtige Bleiglasur als Überzug für Gebrauchs- und Zierkeramik sowie für Fliesen.
So hielt die Fayenceproduktion um 1560 Einzug bei den flämischen Fliesenbrennern.
Zu Beginn des spanisch-niederländischen Krieges (1585) wurde Antwerpen durch die Spanier besetzt und geplündert. Viele Handwerker verließen Antwerpen und zogen in die Provinz Holland. Sie brachten die Kenntnis der Fayencetechnik in die holländischen Städte. Wurden in Antwerpen Fayencefliesen noch hauptsächlich für Bodenbeläge hergestellt, so fanden sie in Holland bald weitestgehend als Sockel- und Wandbekleidung Verwendung.
Nach 1650 wurden die Bürgerhäuser größer gebaut. Die Wohnungen bestanden jetzt meist aus Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Diele. Die Wände der Wohnzimmer wurden oft mit Eichenholz vertäfelt, da in diesen Räumen nicht mehr gekocht wurde. Die Küchen erhielten oft Wandbekleidungen aus Fliesen.
So begann der Siegeszug der Wandfliese um 1650 mit zunehmendem Wohlstand breiter Bevölkerungskreise. Bauern ließen zum Beispiel die Wände ihrer Wohnräume mit Fayencefliesen bekleiden oder Handwerker und Seeleute die Herdpartien ihrer Wohnküchen. Die große Nachfrage nach Fliesen ist der Grund dafür, dass die vor 1650 besonders aufwendige Dekoration der Fliesen teilweise einfacher wurde.
Fliesen stellte man zunächst in den großen Städten der Provinz Holland her, in Rotterdam, Delft, Harlem, Amsterdam und Utrecht. Nach 1650 wurden sie dann auch in der Provinz Friesland produziert, nämlich in Harlingen, Makkum und Bolsward. Im Laufe der darauf folgenden hundert Jahre übernahmen friesische Manufakturen mehr und mehr die Führung in der Fliesenproduktion und überdauerten die meisten Fayencewerkstätten der Provinz Holland.
Rotterdamer Fliesen blieben bis 1851 von Bedeutung, und hier speziell die Fliesen aus der Fayencemanufaktur Aalmis – Verwijk - Van Traa mit dem Werkstattzeichen der Blumenvase (Bloempot).
Die Städte der Provinz Holland lagen alle am Wasser. Dies war der Grund dafür, dass viele Häuser feucht waren. Die Mauern hatten zum größten Teil keine ausreichende Sperrung gegen aufsteigende Feuchtigkeit. Meist wurde nur an einer Stelle im Haus ein offenes Feuer gebrannt. Dies reichte nicht aus, die Mauern trocken zu halten. Der Kalk, mit dem die Mauern gestrichen waren, löste sich wegen der Feuchtigkeit schnell. Reiche Familien hatten deshalb hinterlüftete Wandbekleidungen aus Eichenholz oder sogar Lederbehänge in ihren Häusern. Es wurden aber auch Fayencefliesen als Wandbekleidung eingesetzt. Die Fliesen boten eine schöne und dekorative Lösung des Feuchtigkeitsproblems. Fliesen wurden zuerst dort angesetzt, wo der Kalkanstrich der Wände besonders stark beansprucht wurde: als Sockel am Übergang vom Boden zur Wand. Dies ist aus vielen Gemälden dieser Zeit ersichtlich.
Bald wurden ganze Wandflächen mit Fliesen bekleidet. Es waren dies besonders Bereiche am Herd. In den meisten Gebieten der Niederlande führte man keramische Bekleidungen der Wände acht bis zehn Fliesen, das heißt ca. 1.04 m bzw. ca. 1.30 m hoch aus. Vor allem in der Provinz Holland waren die Bürgerhäuser relativ klein. Wenn auch breite Schichten der Bevölkerung in der Zeit von 1600 bis 1650 wohlhabender wurden, so bestanden die Wohnungen damals meist nur aus einer Kammer, die in der Regel auch noch Küche war. Zunehmender Wohlstand erlaubte es den Menschen bald, sich relativ teure Fliesen als Wandbekleidung zu leisten.
- Die ersten niederländischen Wandfliesen wurden oft von Keramikern angefertigt, die ursprünglich Bodenfliesen hergestellt hatten. Aus diesem Grund hatte die Dekoration der frühen niederländischen Fayencewandfliesen große Ähnlichkeit mit den Motiven bleiglasierter Bodenfliesen. Meist bestanden diese Motive aus stilisierten Blattmotiven. Die frühesten niederländischen Wandfliesen, die mit Zinnglasur bedeckt, mit Keramikfarben bemalt und dann mit Bleiglasur abgedeckt wurden, zeigen stilisierte Blattmotive in geometrischen Mustern.
Nur wenige Fliesen trugen figurative Dekoration. Nach 1600 wurde der Anteil der Wandfliesen mit Dekoration in Art von Früchten, Blumen, Menschen und Tieren größer. Granatäpfel und Trauben, Tulpen und exotische Tiere wurden als Dekoration beliebt. Alle diese Fliesen trugen polychrome Bemalung. Diese war zeitraubend und demgemäss auch teuer.
Nach 1625 wurden die niederländischen Wandfliesen unter Einfluss der Chinamode meist nur noch in einer Farbe bemalt, nämlich blau. Dies machte die Fayencefliesen auch preiswerter. Nach 1650 wurde der Aufwand zwar kleiner, die Anzahl der Motive aber wesentlich größer. Beliebt wurden Darstellungen von Schiffen, Berufen, Kinderspielen, Landschaften und biblischen Themen. Die Fayencewerkstätten passten sich den wechselnden Modeeinflüssen an.
Im achtzehnten Jahrhundert gab es eine Vielzahl von Darstellungen aber auch große Qualitätsunterschiede. Neben sparsam bemalten und uni weißen Fliesen wurden auch sehr akkurat bemalte Fliesen hergestellt. Die oft manganfarben (braunviolett) bemalten Fliesen mit sehr sorgfältig ausgeführten Darstellungen mit biblischen und mythologischen Themen, Landschaften und aufwendigen Ornamenten waren zuerst für die Bevölkerung in den Städten und ab dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts auch für die reichen Schichten der Landbevölkerung bestimmt.
Niederländische Fliesen beeinflussten die Wohnkultur Nordeuropas fast dreihundert Jahre lang. In Deutschland und Dänemark fanden sie ihre größte Verbreitung und Nachahmung.
Der Export von Fliesen ging von cirka 1665 bis nach 1800 auch nach Süd- und Osteuropa. Selbst in außereuropäischen Ländern trifft man niederländische Fliesen an.
Fayencewerkstätten mit Fliesenproduktion gab es in vielen Städten der Niederlande. Für den Export waren aber nur Werkstätten aus Amsterdam, Delft, Harlingen, Makkum, Rotterdam und Utrecht von Bedeutung.
Die Beziehungen zu Frankreich und zu den Kurfürsten in München und Bonn leiteten die Expansion ein. Fliesenarbeiten in Schloss Rambouillet, den Schlössern Amalienburg, Pagodenburg und Badenburg der Schlossanlage Nymphenburg sowie den Schlössern Augustusburg und Falkenlust in Brühl belegen dies.
Jan Aalmis jr.lieferte die Fliesen für Schloss Rentweinsdorf bei Bamberg und für das Haus der Familie van der Smissen in Altona.
Pieter Schut aus Rotterdam lieferte Fliesen für die Schlossanlage Schwetzingen in der Pfalz.
Jan Pieterszn. Aalmis (1674-1755) sowie seine Söhne Jan (1714-1799) und Jan Bartholomeus (1725-1786) aus Rotterdam, Cornelis Boumeester (1652-1733) aus Rotterdam, Jan van Oort (1645-1699) und Willem van der Kloet (1666-1747) aus Amsterdam haben sich besonders um die Verbreitung der niederländischen Fliese in Europa verdient gemacht.
Waren es zuerst Lieferungen zur Ausschmückung von Palästen und Kirchen, so erfolgten bald auch Lieferungen an andere Kundenkreise.
Die Exporte erfolgten in der Hauptsache über Wasserwege.
Bei Seefahrern von den Inseln und Halligen Nordfriesland und der Nordseeküste von Holland bis Schweden erfreuten sich niederländische Fliesen besonderer Beliebtheit.
Besonders in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts gingen in Nordfriesland viele Fliesenarbeiten des 18. und frühen 19. Jahrhunderts durch Renovierungs- und Modernisierungsarbeiten verloren. Es ist zu hoffen, dass die verbliebenen Fliesenbekleidungen des 18. Jahrhunderts den nächsten Generationen erhalten bleiben.
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