Mythologische Darstellungen auf Amsterdamer Fliesentableaus

  

 Argus und Merkur

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Auf Anraten und in Begleitung des niederländischen Fliesenhistorikers Jan Pluis besuchte eine Gruppe niederländischer und deutscher Fliesenforscher im Herbst 1983 den Fliesenfabrikanten und Restaurator Paul de Knock in seiner Werkstatt in einer alten Mühle in Ardooie in der niederländischsprachigen Provinz Westflandern in Belgien.

Herr de Knock besaß damals sechs Fliesengemälden, jeweils 13 Fliesen hoch und in verschiedenen Breiten mit Darstellungen von Göttern und Göttinnen. Alle waren unvollständig und stark beschädigt. Nach Angaben des Herrn de Knock hatte er die losen Fliesen und Bruchstücke vom Sohn des Antiquars Deene aus Gent gekauft.

Im Herbst 1987 besuchte wieder eine Gruppe Fliesenforscher Herrn Paul de Knock. Zu seiner Freude konnte er ein schon weitgehend aus Einzelfliesen und Bruchstücken zusammengestelltes Fliesentableau von 13 x 23 = 299 Fliesen mit der Darstellung von Argus (1) und Merkur (2) vorstellen.

 

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Der Weg der Fliesen von Lissabon nach Ardooie

Willem van der Kloet (3) aus Amsterdam lieferte 1707 die komplette Fliesenausstattung des Palácio Galvão Mexia, der bis 1899 in der Lissaboner Bairro Alto im Stadtteil Encarnação in der Rua dos Mouros, nahe dem Convento de São Pedro de Alcântara, stand.

Am 1. November 1755 führte das Erdbeben von Lissabon in Verbindung mit einem Großbrand und einem Tsunami zur nahezu vollständigen Zerstörung der Stadt. Der Palácio Galvão Mexia überstand diese Katastrophe erstaunlicherweise relativ unbeschädigt, wurde aber nach mehreren Besitzwechseln und zuletzt in Benutzung als Erholungsheim 1899 abgerissen.

In einem Artikel der Zeitschrift Diário de Notícias vom 11 Juli 1894 beschrieb der Kunsthistoriker Francisco Marques de Sousa Viterbo im Artikel ‚Azulejos Preciosos’ Fliesenarbeiten im Palast. Weitere Hinweise auf den Palast und die Fliesenarbeiten findet man vom gleichen Autor in seinem Handbuch "Notícias de Alguns Pintores" (Lisboa 1903). Er schrieb darin, dass die Fliesengemälde aus dem Palácio Galvão Mexia vor dem Abriss ausgebaut wurden, am 10. Juli 1899 in eine Versteigerung kamen, aber keinen Käufer fanden.

Einen weiteren Hinweis auf die Fliesengemälde aus dem Palácio Galvão Mexia findet man bei Vergilio Correia "Azulejadores e Pintores de Azulejos em Lisboa in Aguia" N° 77-78, 1918. Er ergänzte, dass zu unterschiedlichen Zeiten acht Fliesengemälde in den Besitz des Kunstsammlers Adriano Julio Coelho (4), zwei Tableaus in den Besitz von Alfredo Keil (5) und ein Tableau in den Besitz von Silverio Cardoso (6) kamen.

Weitere Tableaus aus dem Palácio Galvão Mexia verließen auf ungeklärte Weise zu einem mir unbekannten Zeitpunkt Portugal und tauchten nach 1945 in einer Benediktinerabtei in Wisques (bei Saint-Omer / Frankreich) auf. Die Fliesenforscher Kees Boschma, Pieter Jan Tichelaar, Jan Pluis und Rainer Marggraf versuchten den Weg der Tableaus nachzuvollziehen. Sie kamen zu folgendem Ergebnis:
In Kisten verpackte Fliesen wurden in den fünfziger Jahren von den Mönchen der Benediktinerabtei in Wisques für einen geringen Betrag an den Antiquar Deene nach Gent verkauft. Es waren insgesamt Fliesen und Bruchstücke von zehn Tableaus.
Paul de Knock aus Ardooie erwarb aus Gent Fliesen und Bruchstücke von sechs Tableaus.

 

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Paul de Knock, Fliesenfabrikant und Restaurator, in seiner Werkstatt in der Mühle ‚Rysselendemolen’ in Ardooie, einer Gemeinde in der niederländischsprachigen Provinz Westflandern in Belgien.

 

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Tableau nach erfolgter Restaurierung

 

Argus und Merkur (Ovid, Metamorphosen 1, 668-688) (7)
Fliesengemälde 13 x 23 Fliesen, Willem van der Kloet, Fayencewerkstatt ‚De Twee Romeinen’, Amsterdam. Das Fliesengemälde wurde in der Auktion vom 17.-18. November 1999 als Nummer 550 bei Sotheby’s in Amsterdam versteigert. Der Verbleib des Tableaus ist mir leider nicht bekannt.

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Die Darstellung entspricht nicht einem Hirtenidyll, sondern schildert die Vorbereitung eines Mordes und einer Entführung. Der Götterbote Merkur ließ mit seinem Flötenspiel Argus einschlafen. Jetzt hat er die Flöte beiseite gelegt und greift zu seinem Schwert um Argus zu töten und die Kuh Io (8) zu entführen.

 

 

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Der vom Flötenspiel des Götterboten Merkur in Schlaf gebrachte Argus, davor sein Hund, 
der mit wachen Augen Merkur beobachtet.

   

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Merkur, als Götterbote an seinem Flügelhut zu erkennen, hat die Flöte beiseite gelegt und greift zum Schwert, um Argus zu töten um dann die Kuh Io zu entführen.

   

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Kühe aus der Herde des Argus.
Am linken Rand des Details sieht man einen Teilbereich der integrierten Rahmung aus Zirkelbögen.

   

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Details weisen auf die Urheberschaft des Willem van der Kloet hin.
Markant ist zum Beispiel die Gestaltung der Pflanzenblätter in indirekter und direkter Malweise (9).

   

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Bei genauer Betrachtung kann man Klebestellen von gerissenen Fliesen und farblich schlecht ausgeführte Bemalung neuer Fliesen erkennen.

 

   

 

Vergleich des Fliesengemäldes mit grafischer Vorlage und Gemälde

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Argus und Merkur, Grafik des Schelte à Bolswert (10) nach einem Gemälde des Jacob Jordaens (11).

 

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Merkur und Argus (Gemälde im Kunsthandel)
Jacob Jordaens, Öl auf Leinwand, 144,8 x 173,3 cm.

 

   

 

 

 Jupiter und Diana

 

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Im Restaurierungsatelier des Paul de Knock konnte die Gruppe Fliesenforscher bei ihrem zweiten Besuch im Herbst 1978 neben dem Fliesengemälde ‚Argus und Merkus’ auch die Tableaus ‚Jupiter’ (12) und ‚Diana’ (13) bewundern.

Im Tableau ‚Jupiter’ fehlen elf Fliesen, darunter vor allem die Fliesen mit der Darstellung des Kopfes. Dies macht die Restaurierung besonders schwierig, da eine entsprechende grafische Vorlage nicht bekannt ist.

Im Tableau ‚Diana’ fehlt nur eine Fliese, die sich, auch ohne Kenntnis einer entsprechenden grafischen Vorlage, gut ergänzen lässt.

 

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Die beiden Tableaus wurden 1999 restauriert.
In Bild 15 sind die ergänzten Fliesen farblich abgesetzt.

   

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Jupiter hält ein Bündel Blitze in der linken und den Globus in der rechten Hand.

   

 

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Diana, mit der Mondsichel auf dem Haupt, zieht mit der linken Hand einen Pfeil aus dem Köcher und hält in der rechten Hand den Bogen.

 

   

Bei Paul de Knock vorgefundene lose, nicht zugeordnete Fliesen

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Bei Paul de Knock wurden die Buchstaben A, B, C, H und N auf Fliesen und Bruchstücken angetroffen. Da der Buchstabe N der dreizehnte Buchstabe im Alphabet ist, wurden von Willem van der Kloet mindestens dreizehn Fliesengemälde nach Lissabon geliefert.

Das Bruchstück mit dem Buchstaben A gehört zum Tableaus der Hirschjagd im Princessehof in Leeuwarden. Die Bruchstücke mit dem Buchstaben B gehören zum Tableau ‚Mahlzeit auf der Terrasse’ im Rijksmuseum Amsterdam. Das Bruchstück mit dem Buchstaben D war die obere linke Ecke eines Tableaus.

 

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Das unbekannte Fliesengemälde mit dem auf die Scherben geschriebenen Buchstaben C muss sehr groß gewesen sein, denn es fand sich die Ziffernfolge 719 auf einer Fliese.

 

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Es konnten leider nur in der Waagerechten angrenzende Fliesen dokumentiert werden.
Angrenzende Fliesen in der Senkrechten fanden sich nicht. Deshalb lässt sich auch nicht die ungefähre Größe des unbekannten Tableaus bestimmen.

 

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Der Verbleib der losen Fliesen und Bruchstücke ist mir nicht bekannt.

 

   

 

Von mir im Internet bisher veröffentliche Berichte in Sachen ‚WILLEM VAN DER KLOET’

Willem van der Kloet und das Gemälde einer Hirschjagd
www.geschichte-der-fliese.de/klohi.html

 

Zwei Fliesengemälde des Willem van der Kloet im Museum Nogueira da Silva in Braga
Os azulejos de Willem van der Kloet em Braga
Willem van der Kloet tile pictures in Braga
www.geschichte-der-fliese.de/klobra.html

 

Zwei großformatige Fliesengemälde aus der Amsterdamer Werkstatt des Willem van der Kloet
www.geschichte-der-fliese.de/kloe.html

 

Acht Fliesengemälde mit Szenen aus dem Leben Jesu der Amsterdamer Werkstatt des Willem van der Kloet
www.geschichte-der-fliese.de/kloet.html

 

Fliesengemälde des Willem van der Kloet aus Amsterdam in der Kirche Nossa Senhora da Nazaré / Portugal
Tegeltableaus van Willem van der Kloet uit Amsterdam in de kerk Nossa Senhora da Nazaré in Sítio (Nazaré) in Portugal
Tile panels made in Amsterdam by Willem van der Kloet in the church of Nossa Senhora da Nazaré / Portugal
Igreja et Santuário de Nossa Senhora da Nazaré os azulejos de Willem van der Kloet
http://www.geschichte-der-fliese.de/nossa_senhora.html

 

 

In meinen Berichten beschrieb ich die folgenden 16 Fliesengemälde des Willem van der Kloet aus dem Palácio Galvão Mexia:

8 Tableaus aus der Sammlung des Adriano Julio Coelho (Belas und Lissabon)

1 Tableau via Gent aus der Sammlung Keezer (Amsterdam)

1 Tableau aus der Sammlung Silverio Cardoso (Lissabon)

2 Tableaus aus der Sammlung Alfredo Keil (Braga)

1 Tableau via Gent aus der Sammlung Historisch Museum Amsterdam (Leeuwarden)

3 Tableaus via Gent aus der Sammlung Paul Knock (deren Verbleib ist mir nicht bekannt)

 

Außerdem sollen zwei Tableaus im Format von 13 x 13 Fliesen mit Darstellungen spielender Kinder via Gent nach Frankreich gekommen sein.

 

 

Erläuterungen

1) Argus. Zeus verliebte sich einst in Io und wollte sie entführen. Dies bemerkte jedoch seine eifersüchtige Gattin Hera. Um die Entführung zu vertuschen, verwandelte Zeus Io in eine silberglänzende Kuh. Hera entdeckte dies jedoch und forderte die Kuh als Geschenk, was Zeus ihr nicht abzuschlagen vermochte. Hera beauftragte sodann den hundertäugigen Riesen Argos, Io zu bewachen. Zeus entsandte nun den Himmelsboten Hermes (Merkur) zu Argus. Dieser schläferte ihn mit seinem Flötenspiel ein, so dass Io - immer noch in Tiergestalt - zu entfliehen vermochte. Auf der Flucht überquerte Io das Meer, das später nach ihr benannt wurde (Ionisches Meer) und überschritt die Furt, die ihren Namen Io verdankt (Bosporus = griech. für Kuh- oder Ochsenfurt), von Europa nach Asien. (Wikipedia)

2) Merkur. Mercurius (eingedeutscht Merkur) war ein Gott in der römischen Religion. Sein Name geht auf das lateinische Wort merx, Ware, zurück. Er wurde mit dem griechischen Hermes gleichgesetzt. Dessen Herkunft und übrige Eigenschaften wurden auf ihn übertragen. Er gilt als der „Götterbote“, Gott der Händler und Diebe. (Wikipedia)

3) Willem van der Kloet (1666-1747) war das dritte von sieben Kinder der Eheleute Willem Cornelisz. van der Kloet und Celetje Os. Alle Söhne außer dem als Kind gestorbenen Jan (gestorben 1689) folgten ihrem Vater im Beruf des ‚tegelbakker’, Willem (1666-1747), Cornelis (1672-1733) und Bartholomeus (geboren 1675). Auch zwei Töchter blieben in diesem Berufsmilieu der Fliesenbrenner. Trijntje (geboren 1664) heiratete 1683 einen Berufskollegen und die jüngste Tochter Maria (1678-1761) arbeitete über lange Jahre in der Werkstatt ‚De Twee Romeinen aan de Prinsengracht’. Nur Johanna (geboren 1669) heiratete einen berufsfremden Mann.
Willem van der Kloet arbeitete, schon lange bevor er diesen erbte, im elterlichen Betrieb. Im Alter von zweiundzwanzig Jahren war er schon Mitglied in der angesehenen Amsterdamer St. Lucas Gilde. 1694 übernahm Willem van der Kloet die Leitung der Werkstatt. Drei Jahre nachdem er Eigentümer der Werkstatt ‚De Twee Romeinen’ geworden war, heiratete er 1697 Maria de Jongh, eine gut situierte Witwe, die zwei junge Töchter mit in die Ehe brachte. Dem Ehepaar wurden mehrere Kinder geboren, doch starben bis auf Maria (geboren 1706) alle im Kindesalter.
Die Lage der Werkstatt ‚De Twee Romeinen` am äußersten Rand der Stadt Amsterdam war äußerst günstig, denn sie hatte ausreichenden Abstand zu Wohngebieten, konnte über Kanäle Grundstoffe, Halbfabrikate und Erzeugnisse günstig transportieren. Es bestand auch ein gutes Wegenetz für den Transport mit Pferd und Wagen.
Willem van der Kloet profitierte vom raschen Aufschwung und der Ausbreitung der Stadt. Amsterdam zog damals viele Immigranten an. Die Weltoffenheit der Stadt verhalf den Fliesen produzierenden Werkstätten auch zu Kunden in Portugal.
Willem van der Kloet lieferte Fliesengemälde nach Portugal, für die Kirche Madre de Deus (nach dem Tod des Jan van Oort), 1707 für den Palácio Galvão Mexia und 1707-1709 für die Kirche Nossa Senhora de Nazaré.

4) Adriano Julio Coelho, Lissaboner Kunstsammler, kaufte acht Fliesengemälde aus dem Palácio Galvao Mexia. Sechs befinden sich bei einem Erben in Belas und zwei bei einer Erbin in Lissabon.

5) Alfredo Keil, Lissaboner Kunstsammler und Komponist der portugiesischen Nationalhymne, kaufte zwei Fliesengemälde aus dem Palácio Galvao Mexia. Sie kamen als Schenkung ins Museum Nogueira da Silva in Braga.

6) Silverio Cardoso, Lissaboner Kunstsammler. Aus seinem Besitz kam das Fliesengemälde ‚Tanzendes Paar auf einer Terrasse´ in das Museu Nacional dos Azulejos in Lissabon.

7) Publius Ovidius Naso, kurz Ovid genannt, (* 20. März 43 v. Chr. in Sulmo; † wohl 17 n. Chr. in Tomis) war ein römischer Dichter.

8) Io. Siehe 1) Argus

9) indirekte und direkte Malweise. Durch gemalte Begrenzung von Objekten (zum Beispiel Blattränder) bleiben Flächen frei in die dann direkt (zum Beispiel Mittelrippe, Blattadern und Spreiten) gemalt werden.

10) Schelte à Bolswert (Schelderic Adamsz Bolswert, Bolsward, Friesland, 1586 – Antwerpen 1659)

11) Jacob Jordaens (* 19. Mai 1593 in Antwerpen; † 18. Oktober 1678 in Antwerpen) war ein niederländischer Maler. Ab 1607 lernte Jordaens bei Adam van Noort und heiratete 1616 dessen Tochter. Er blieb zeitlebens in Flandern, nur 1641 arbeitete er kurz in England. Gemälde von ihm finden sich in fast allen Antwerpener Kirchen. Auch nach seinem Übertritt zum Calvinismus 1645 wurde er weiterhin von der katholischen Kirche engagiert. Jordaens gilt – vor allem nach dem Tod Rubens, der ihn stark beeinflusste – als einer der bedeutendsten Maler des flämischen Barock. Das Gemälde ‚Merkur und Argus’ wurde am 04. Oktober 2007 bei Christie’s in New York versteigert.

12) Jupiter, meist abgekürzt zu IOM, war die oberste Gottheit der Römer.

13) Diana war in der römischen Mythologie die Göttin der Jagd, des Mondes und der Geburt, Beschützerin der Frauen und Mädchen. Ihr entspricht die Artemis in der griechischen Mythologie. (Wikipedia)

 

 

Benutzte Literatur

J.M. dos Santos Simões: Carreaux céramiques Hollandais au Portugal et en Espagne (La Haye 1959)

‘Willem van der Kloet en het tableau met een hertejacht’ in: Vormen uit Vuur. Mededelingenblad Nederlandse vereniging van vrienden van ceramiek en glas (1992/1)

Tichelaar Makkum: ‘Willem van der Kloet en het tableau met een hertejacht’ (Makkum 1992)

Museu Nacional do Azulejo: ’Os azulejos de van der Kloet em Portugal – Van der Kloet tiles in Portugal’ (Lisboa 1994)

Jan Pluis en Reinhard Stupperich: Mythologische voorstellingen op Nederlandse tegels  (Leiden 2011)

Wikipedia

 

 

Bildnachweis

Bildarchiv Rainer Marggraf

Bildarchiv Jan Pluis

Christie’s New York ‚Old Masters Paintings, October 04, 2007