Wilhelm Joliet |
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Deutsche und niederländische
Fliesen des 18. Jahrhunderts
aus dem Gartenpavillon des Schlosses Seußlitz
01 Schloss Seußlitz, im Hintergrund der Helm der
Schlosskirche
Diesbar – Seußlitz Der rechtsseitig der Elbe gelegene Ortsteil der
Gemeinde Nünchritz im Landkreis Meißen, liegt am Anfang der Sächsischen
Weinstraße. Für sein Barockschloss und die Schlosskirche ist der von
Weinbergen umgebene Ort im Elbtal, etwa 45 Kilometer nördlich von Dresden,
vor allem bekannt.
Geschichte des Schlosses Seußlitz Über dem Portal des Schlosses prangt im schmucken
Giebel das Wappen der Familie von Bünau mit der Inschrift „Mit Gottes Hilfe
baute dieses Haus im Jahr 1723 von Grund auf Heinrich Bünau, Geheimer Rat
und Kanzler des Königs von Polen und Kurfürsten von Sachsen“. Heinrich von Bünau (1665 – 1745), erwarb 1722 das stark
heruntergekommene Schloss Seußlitz mit Rittergut. Er ließ von George Bähr
(1666-1738), Schöpfer der Dresdner Frauenkirche, bis 1732 Schloss und Kirche
im Stil des Barocks errichten. Schloss und Kirche stehen auf den Grundmauern
eines ehemaligen Klarissenklosters. Das Anwesen Seußlitz blieb bis 1797 im
Besitz der Familie von Bünau. 1799 wurde Johann Christian Clauß (1751-1835),
Textilunternehmer in Leipzig, Eigentümer des Schlosses. Das Anwesen blieb
bis 1880 im Besitz der Familie Clauß. 1880 erwarb der Leipziger Kauf- und Handelsherr Julius
Harck Schloss, Rittergut und Park. Im Jahr 1894 übernahm sein Sohn, der
Kunstwissenschaftler Fritz von Harck (1855-1917), das Anwesen. Schloss
Seußlitz wurde Heimstätte seiner Kunstsammlung. Er war es, der
wahrscheinlich seine Fliesensammlung im Gartenpavillon ansetzen ließ. Nach
seinem Tod 1917 fielen seine transportablen Kunstwerke an das Grassimuseum
Leipzig. Von 1928 bis 1945 war der Leipziger Kaufmann Willi
Böttger Besitzer des gesamten Anwesens. Der Rittergutsbesitzer wurde 1945 im
Rahmen der Bodenreform enteignet Das Schloss kam in kommunalen Besitz und wurde als
Feierabendheim genutzt. Im Jahr 2000 zogen die Senioren aus. Neuer
Eigentümer wurde 2001 der Münchner Architekt Stephan Braunfels, der es von
der Kommune erwarb.
Seußlitzer Fliesensammlung in der Literatur
Cornelius Gurlitt schrieb in Bau- und Kunstdenkmäler des Königreiches
Sachsen, Amtshauptmannschaft Großenhain, 37. Heft, Dresden 1913: „An den
Park legt sich westlich eine offene Halle an, deren Rückwand mit Delfter
Fliesen belegt ist. Es gibt Blaumalereien verschiedener Art; Darstellungen
von Landschaften, Fabeln, Vogelhändlern und Tieren. Anfang des 18.
Jahrhunderts zum Teil durch Ankäufe in Leipzig ergänzt.“
Siegfried Stahl veröffentlichte 1977 in Braunschweig ‚Deutsche Fliesen,
Fayence-Fliesen des 18. Jahrhunderts‘, darin auch Fotos von Fliesenflächen
aus dem Gartenpavillon des Schlosses Seußlitz.
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Nach Stahl: Abb. 88 Dorotheenthal, um 1735, blau. – Schloß Seußlitz bei
Dresden.
03
Nach Stahl: Abb. 117 Blau bemalte Falkenjagdfliesen, Ansbach, um 1750.
Seußlitz bei Dresden, Schloß.
04
Nach Stahl: Abb. 248 Fränkisch (Ansbach oder Öttingen-Tiergarten), um 1740,
blau. –Seußlitz bei Dresden.
Meine
Ortstermine im Schlosspark Seußlitz
Als Autor erarbeitete ich 1992 im Auftrag der Zentralstelle für
Weiterbildung im Handwerk ein speziell auf die Bedürfnisse der
Meisterschulen und Fachbetriebe der neuen Bundesländer zugeschnittenes
Handbuch. In den Jahren 1992-1993 leitete ich Seminare für Lehrbeauftragte
an Meisterschulen für das Fliesen-, Platten- und Mosaikleger-Handwerk im
Gebiet der neuen Bundesländer in Halle an der Saale und in Großenhain. Vom
18. bis 21. Juni 1992 besuchte ich Seußlitz, überprüfte die beiden
Fliesenflächen und erstattete anschließend als öffentlich bestellter und
vereidigter Sachverständiger für Fliesen, Platten und Mosaik der
Gemeindeverwaltung Diesbar-Seußlitz ein Gutachten zum Zustand der
historischen Fliesen im Gartenpavillon mit Hinweisen zu deren Restaurierung.
Mit der Gemeindeverwaltung stand ich schon vor der Wende in Schriftverkehr
zu den historischen Fliesen.
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Pavillon im Schlossgarten mit der Fliesensammlung
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Linke Fliesenwand
Die oberste Reihe besteht aus 16 Fliesen, die um 1730-1740 in
Arnstadt-Dorotheenthal gefertigt wurden.
Diese Fliesen sind größer als die 170 fränkischen Fliesen
(Oettingen-Tiergarten um 1740).
Deshalb kommt es zum optisch störenden Fugenversatz.
Im unteren rechten Bereich des Fliesenfeldes wurde bei mehreren Fliesen,
bedingt durch den Druck von Salzkristallisation, die Glasur vom Scherben
gesprengt.
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Rechte Fliesenwand
Das Feld von 190 blau bemalten Fliesen ist eingebettet in cremefarbene
Fliesen und umrahmt von 45 Tulpenfliesen. Von den 190 blau bemalten Fliesen
sind 128 in der Mitte des 18. Jahrhunderts gefertigte fränkische
Falkenjagdfliesen und 62 um 1760 gefertigte niederländische Fliesen. Die
Tulpenfliesen sind dem Produktionsort Dresden und der Zeit um 1760-1770
zuzuschreiben.
Ich traf diese rechte Fliesenwand in einem äußerst schadhaften Zustand an.
Im Mauerwerk aufgestiegene Salzlösungen drückten bei ihrer Kristallisation
Glasur von den Scherben ab und blühten in Fugen und auf freigelegten
Scherben pulvrig aus. Bei meinen Ortsterminen entnahm ich Kernproben. Diese
bestätigten das Vorhandensein von Chlorid, Sulfat und Nitrat in Mauerwerk,
Ansetzmörtel und keramischen Scherben.
Vom Lokalhistoriker Gerd Ulrich erfuhr ich, dass ursprünglich drei
Fliesenfelder die Rückwand der Loggia zierten. Doch dieses Feld fiel 1945
dem Vorschlaghammer zum Opfer, als an dieser Stelle ein Mauerdurchbruch
vorgenommen wurde. Weiterhin erfuhr ich von Herrn Ulrich, dass die Arkaden
an die Rückwand eines Pferdestalls angebaut wurden.
Dass die Fliesen an die Wand eines Pferdestalls angesetzt wurden, erklärt
auch die massive Einwirkung von Salzen auf die Fliesen.
Entscheidungsträgern der Ortsverwaltung empfahl ich, Demontage, Entfernung
von Ansetz- und Fugmörtel sowie Entsalzung der Fliesen einem mit der Materie
vertrauten Restaurierungsunternehmen zu übergeben.
Von einem erneuten Ansetzen der Fliesen mit kulturhistorischer Bedeutung
riet ich wegen des mit Salzen durchsetzten Untergrundes und wegen der
Umwelteinfüsse auf die keramischen Wandbekleidungen ab.
Demontage der Fliesen, Entfernen von Ansetz- und Fugmörtel, Entsalzen der
Fliesenscherben und Ansetzen ausgewählter Fliesen auf Alu-Trägerplatten
08
Die Fliesen wurden einschließlich Mörtelbett hinterschnitten.
09
Jede Fliese wurde sorgsam mit ihrem Mörtelbett von der Wand genommen,
provisorisch gereinigt und bruchsicher verpackt.
Das aufwendige Eckmotiv ist bezeichnend für Fliesen aus
Dorotheenthal.
Größen der Fliesen stark differierend von 168x168 mm bis 180x180 mm!
Die Falkenjagdfliesen in Seußlitz sind wesentlich kleiner und haben fast
einheitlich ein Maß von 132x132x6 mm.
Vergleich Seußlitzer Fliesen mit Fliesen aus der Fayencewerkstatt Oettingen-Wallerstein
Auf spezielle Bestellung und eigene Kosten des Grafen Johann Karl
Friedrich zu Oettingen-Wallerstein wurden im Juli und August 1739 die
Fliesen für vier Räume im fürstlichen Schloss zu Hohenaltheim
hergestellt. Die Fliesen wurden von dem Hafner Heinrich Tobias Kern
angefertigt und von den Blaumalern Jakob Galland und Philipp Nikolaus
Ripp nach Vorlagen, die ihnen der Bauinspektor Johann Georg Conradi
lieferte, außerhalb der ordentlichen Arbeitsstunden gegen eine Vergütung
von 2 kr. pro Stück bemalt.
Die Farbtöne der Fliesen im fürstlichen Schloss zu Hohenaltheim sind zum
Teil recht different.
Die Seußlitzer Fliesen ziert das Eckornamt ‚spin‘ (Spinne).
Tulpenfliesen in Seußlitz
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Eingang zum Haus des Gastes
Das Haus des Gastes ist die Touristinformation der sogenannten
Elbweindörfer, zu denen u.a. Diesbar, Seußlitz, Diera oder Löbsal gehören.
Die restaurierten Fliesen sind seit 1998 im Haus des Gastes in
Diesbar-Seußlitz in historischem Ambiente ausgestellt.
Das Foto zeigt das Haus des Gastes vom Eingang zum Schloßbereich. Auf der
Tafel an der Wand rechts neben dem Tor steht „Alte Presse“. Das Gebäude
beherbergte ursprünglich im Erdgeschoß eine Weinpresse.
18
Fliesen aus dem ehemals linken Feld im Pavillon
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Detail aus Bild 18 (links oben)
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Detail aus Bild 18 (rechts oben)
21
Falkenjagdfliesen aus dem ehemals rechten Feld im
Pavillon
22
Detail aus Bild 21
Niederländische Fliesen des 18. Jahrhunderts
23
Niederländische Fliesen aus dem ehemals rechten Feld im Pavillon
Bild 23 zeigt in der obersten Reihe, sowie in der zweiten Reihe links und rechts A.03.03. Aansluitende herders op land; Eckmotiv: spin, Utrecht, um 1735.
Dann folgen 8 Fliesen der Art
B.01.00.14 Landschap in cirkel met
bloemenrank, Amsterdam, 1700-1730.
24,
Fliese in der Sammlung des GRASSI Museum Leipzig.
25,
Fliese in der Sammlung des Kunstgewerbemuseum Schloss Pillnitz.
Es folgen 36 Fliesen der Art A.03.01.24
Landschap in cirkel: Eckmotiv:
ossenkop, Amsterdam um 1740,
siehe Bild 23.
8 Bibelfliesen der Art A.03.08.09
Historie zonder tekst in cirkel; Eckmotiv: ossenkop, Amsterdam um 1740,
liegen verstreut in der Fläche.
O
144 Simson zerreißt einen Löwen (Richter 14:6)
26
O
149 Simson trägt die Stadttore von Gaza weg (Richter 16:1-3)
27
O
231 Elischa wird von Kinder aus Bet-El verspottet (2 Könige 2:23,24a)
28
O
292 Jona und der Wunderbaum (Jona 4:5,6)
29
O
301 Tobias fängt einen großen Fisch (Tobias 6:1-3)
30
N
27 Die Taufe Jesu m Jordan (Matthäus 3:36)
31
N
80 Der Sämann (Matthäus 13:3)
32
Fliese
mit gleicher Darstellung durch unterschiedliche Maler.
33
O steht für Altes Testament, N für Neues Testament.
Alle Codierungen folgen den international anerkannten Daten aus den in der
benutzten Literatur bezeicheten Büchern von Jan Pluis.
Tourismusinformation Diesbar-Seußlitz
Telefon: 035267/50909
Bitte beachten Sie auch meine folgenden Veröffentlichungen im Internet
Crailsheimer Fayrncefliesen mit Motiven der Falkenjagd in Gunzenhausen
www.geschichte-der-fliese.de/gunzenhausen.html
und
Fliesen aus der gräflich Oettingen-Wallersteinischen Fayecemanufaktur
Oettingen-Tiergarten
www.geschichte-der-fliese.de/oettingen.html
Benutzte Literatur
Gurlitt, Cornelius, Bau- und
Kunstdenkmäler des Königreiches Sachsen, Amtshauptmannschaft Großenhain, 37.
Heft, Dresden 1913
Stahl, Siegfried, Deutsche Fliesen,
Fayence-Fliesen des 18. Jahrhunderts, Braunschweig 1977
Pluis. Jan, Bijbeltegels –
Bibelfliesen, Münster 1994
Pluis, Jan, De Nederlandse Tegel –
Decors en benamingen, 1570-1930, Leiden 2013
Wikipedia
Bildnachweis
01 Bildrechte beim Autor
02-04 Siegfried Stahl
05-07 Bildrechte beim Autor
08-10 Klaus-Peter Dyroff
11, 12a/1-12g/1 - 13a/2-13g/2 Bildrechte beim Autor
14 Klaus-Peter Dyroff
15 Grassi Museum Leipzig
16 Kunstgewerbemuseum Schloss Pillnitz
17-23 Bildrechte beim Autor
24 Grassi Museum Leipzig
25 Kunstgewerbemuseum Schloss Pillnitz
26-33 Bildrechte beim Autor
Danksagung
Ich bedanke mich für vielfältige Hilfe bei den Herren Gerd und Rembrand
Ulrich, Klaus-Peter Dyroff, Jan Pluis und Frau Katrin Lauterbach. Meinem
Sohn Norbert danke ich für Bearbeitung und Veröffentlichung des Berichtes.
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