Niederländische
Blumenvasenbilder
in
der Küche der Amalienburg
In der südlichen Hälfte des Nymphenburger Schlossparks in München
steht das Lust- und Jagdschlösschen Amalienburg. Es ist eine der
kostbarsten Schöpfungen höfischer Baukunst und als Rokokokleinod
weltberühmt.
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Die
Amalienburg im Nymphenburger Schlosspark,
Entwurf und Bauleitung: François de Cuvilliés der Ältere,
Bauphase1734 bis 1739
Bauherr und Bauwerk
Kurfürst Karl Albrecht aus dem Hause Wittelsbach (1697–1745)
beauftragte den kurbayerischen Hofbaumeister und Ornamentschöpfer
François de Cuvilliés (1695–1768) mit der Planung eines Schlösschens
für die Fasanenjagd im Nymphenburger Schlosspark. François de
Cuvilliés hatte als Hofbaumeister schon mehrere Bauten entworfen
und die Projekte erfolgreich abgeschlossen.
Er entwarf auch für den Kölner Kurfürsten Clemens August, dem
jüngeren Bruder Karl Albrechts, das Jagdschloss Falkenlust bei Brühl
(Bauphase 1729–1737).
Der einstöckige Rokokobau der Amalienburg war ein Geschenk von
Kurfürst Karl Albrecht an seine Frau Amalie, die er 1722 heiratete
und die ihm sieben Kinder gebar. Maria Amalie (1701–1756) war eine
Tochter Josephs I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher
Nation.
Die Amalienburg wurde zwischen 1734 und 1739 errichtet.
Hervorragende Handwerker erstellten das Bauwerk und bekannte
Ausstattungskünstler vollbrachten unter François de Cuvilliés
Meisterwerke der Raumdekoration.
Raumfolge
Vom im Westen liegenden Eingang gelangt man in den zentral
gelegenen von einer Flachkuppel überwölbten Spiegelsaal. Im Süden
schließen das Ruhezimmer und dahinter das Blaue Kabinett an. Von
dort sind Ankleidezimmer und Hundekammer zugänglich. Im Norden
grenzen das Jagdzimmer und dahinter das Fasanenzimmer an den
Spiegelsaal. Vom Fasanenzimmer gelangt man in die Küche.
In ihrer Art ist die Küche der Amalienburg einmalig. Sie war
konzipiert als Schauküche, sollte aber auch Gesellschaften bei
arkadischen Festen als funktionelle Küche bei der Zubereitung von
Speisen dienen. So gehört zur Einrichtung ein 1735 von François
Cuvilliés entworfener »Castrol Herd« (Casserole ist die französische
Bezeichnung für den Kochtopf). Es handelt sich um die neue Form
eines Herdes mit geschlossenem Feuerkasten und darüber liegender
durchbrochener Herdplatte.
Cuvilliés wählte für die Küche die Einteilung in zwei
Bereiche, den Arbeitsbereich mit Herd, Rauchfang und Anrichte sowie
den angrenzendem Freibereich. Diese Einteilung erreichte er durch
eine mannshoch abgehängte Wand, die von zwei Pfeilern gestützt
wird. Sie gibt links Zugang zum Küchengang, rechts zur Anrichte und
in der Mitte zum Herd. Obwohl der im Halbdunkel liegende
Arbeitsbereich nur durch den Wechsel von uni weißen und blau auf
weißem Grund gemalten Fliesen mit wenigen manganfarbenen
Randfliesen aufgelockert ist, werden die Blicke des Besuchers trotz
aller Farbigkeit des gesamten Raumes auf den Herd gezogen.
Raumgestaltung mit niederländischen Fayencefliesen
Kurfürst Karl Albrecht übernahm die Vorliebe seines Vaters
Maximilian Emanuel für dessen aufwändige Fliesenbekleidungen in
den Münchner Bauwerken Residenz, Pagodenburg und Badenburg und
seines Bruders Clemens August in den Brühler Schlössern Falkenlust
und Augustusburg, als er die Küche der Amalienburg kostbar und sehr
gekonnt mit weißen und über 3.000 bemalten niederländischen
Fliesen ausstatten ließ.
Fliesen, damals »porcellaine plättgen« genannt, zeigen in der
Flächenwirkung eine gewisse Verwandtschaft mit dem hoch geschätzten
ostasiatischen Porzellan. Sie haben zudem mit ihrer zum Teil blauen
Bemalung auf weißem Grund die bayerischen Farben.
In der Küche der Amalienburg gibt es im Kochbereich uni weiße
und blau bemalte Fliesen auf weißem Grund. Wenige Randfliesen haben
manganfarbene Bemalung auf weißem Grund. Der Speisebereich ist
dagegen aufs Prächtigste mit Fliesenbildern und Bildfliesen
(Bibel-, Landschafts- und Hirtenfliesen) geschmückt.
Es sind im Einzelnen:
1.
Drei farbige Blumenvasenbilder im Format von 8 x 6 Fliesen am
abgehängten
Wandteil.
2.
Drei farbige Bilder mit chinesischen und afrikanischen Szenen,
davon zwei im
Format 13 x 2 und eines im Format 12 x 7 Fliesen.
3. Manganfarben gemalte Säulenbilder von 12 x 2 oder 13 x 2
Fliesen. Es gibt davon drei verschiedene Typen:
3.1 gedrehte Säulen mit Pfauen (13x2 Fliesen),
3.2 gedrehte Säulen mit Putten (13x2 Fliesen) und
3.3 Sonnenblumen, einer Vase entwachsend (12x2 Fliesen).
4. Bibelfliesen mit blauer Bemalung auf weißem Grund mit Szenen
aus dem Alten und Neuen Testament.
5. Landschafts- und Hirtenfliesen.
6. Randfliesen mit pflanzlichen Rankenmotiven in Breiten von
einer ganzen oder einer halben Fliese. Diese gibt es in blauer,
manganfarbener und mehrfarbiger Bemalung.
7. Uni weiße Fliesen.
1. Drei farbige Blumenvasenbilder am abgehängten Wandteil
02
Blick nach Nordosten zum Eingangsbereich
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Abgehängtes
Wandteil über dem Durchgang zum Herdbereich mit drei
Blumenvasenbildern
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Abgehängtes
Wandteil in Blickrichtung Ost-Süd
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Drei
fast identische farbige Blumenvasenbilder
Auf den ersten Blick fallen gravierende Ansetzfehler nicht auf.
Farbig bemalte Fayencefliesen rahmen Blumenvasen und
Bouquets. Auf marmorierten Sockeln stehen Henkelvasen mit
unterschiedlichen Motiven. Links neben den Sockeln sitzt jeweils ein
Papagei auf der Stange und rechts stolziert ein farbenprächtiger
Hahn. Die Bouquets in den Vasen zeigen unterschiedlichste
Blumensorten. Vögel, Schmetterlinge und Libellen umschwirren die
Blumenbouquets, in denen man Vögel und Pfauen findet.
Bei genauer Betrachtung der Fliesenbilder und ihrer
Rahmungen fällt auf, dass sehr viele Fliesen beim Ansetzen falsch
angeordnet wurden. (1)
Wie ist diese Unzulänglichkeit der Blumenvasenbilder
zu erklären, die übrigens auch bei in einem weiteren Bericht zu
beschreibenden farbigen
Bildern mit chinesischen und afrikanischen Szenen festzustellen ist?
Dass gerade bei den schönsten Stücken der
Raumdekoration diese Unzulänglichkeiten festzustellen sind, liegt
mit Sicherheit nicht am Unvermögen der ausführenden Handwerker.
Die Fliesenbekleidungen wurden in der Küche der Amalienburg in
handwerklich bester Qualität ausgeführt.
Es muss demnach nach einer anderen Ursache geforscht
werden.
Ich
folge der von Dr. Carla de Jonge (2) und Dr. Ulrika Kiby vertretenen
These, dass alle farbigen Fliesen in der Küche der Amalienburg aus
der Münchener Residenz stammen und in der Amalienburg zumindest in
Zweitverwendung angesetzt wurden.
Durch
eine Brandkatastrophe wurden 1729 in der Münchener Residenz Räume
zerstört, die erst 1726 unter dem Hofbaumeister Effner im
chinesischen Stil umgebaut worden waren. In den Jahren 1730 bis 1737
erfolgte der erneute Umbau des abgebrannten Traktes unter Leitung
des Architekten François de Cuvilliés, der seit 1730 als
Nachfolger Effners das Amt des Hofarchitekten bekleidete. Cuvilliés
war schon an den Baumaßnahmen Effners an der Residenz beteiligt und
war mit dessen Arbeiten vertraut. Da er ein gänzlich neues
Konzept zur Ausstattung der Räume wählte, fand man in der Münchener
Residenz keine Verwendung für die nach dem Brand geborgenen
Fliesen. Genau in dieser Zeit erfolgte unter
seiner Leitung der Bau der Amalienburg im Nymphenburger Schlosspark. Polychrome
Fliesenbilder mit Blumenvasen und chinesischen Szenen wurden nun in
die Fliesenbekleidung der Amalienburg eingefügt. Da diese
Fliesenbilder im Raum sehr hoch angesetzt wurden, stören die
Ansetzfehler den optischen Eindruck kaum.
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Linkes
Blumenvasenbild
07
Bei
genauer Betrachtung sieht man deutlich die fehlerhafte Anordnung von
Fliesen
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Blumenvase
auf farbig marmoriertem Sockel,
links
ein Papagei auf einer Stange und rechts ein stolzierender Hahn.
Die
Darstellung auf der Vase zeigt die angekettete Andromeda und das sie
bedrohende Seeungeheuer
(Metamorphosen des Ovid IV, 664-739).
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Papagei auf der Stange 10 Stolzierender Hahn
11
Detail
der Blumenvase
12
Blumenbouquet
mit Insekten, Vögeln und einem Pfau.
Den optischen Eindruck stören vor allem die in das Blumenbouquet
eingearbeiteten Randfliesen.
13
Detail aus Abbildung 12
14 Detail aus Abbildung 12
15
Mittleres
Blumenvasenbild
16
Bei
genauer Betrachtung sieht man besonders im Blumenbouquet deutlich
die fehlerhafte Anordnung von
Fliesen.
17
Blumenvase
auf farbig marmoriertem Sockel. Die Fliese unten links ist nicht
zugehörig.
Der
Amor mit der Fackel auf dem Medaillon der Vase steht wohl für das
Entzünden der brennenden Liebe.
Darauf deuten auch die beiden Vögel
neben dem Kopf der ruhenden weiblichen Person hin.
18
Detail
aus Abbildung 16. Vögel im Blumenbouquet und auf Randfliesen.
19
Detail
aus Abbildung 16. Vögel in Blumenbouquet und Randfliesen.
Ein
Putto ist auf zwei nicht zusammengehörigen Fliesen zu sehen.
20
Detail
aus Abbildung 16. Oberer linker Eckbereich.
21
Detail
aus Abbildung 16. Oberer rechter Eckbereich.
22
Rechtes
Blumenvasenbild
23
Bei
diesem Blumenvasenbild beeinträchtigen vier nicht zugehörige
Fliesen im Bereich des Sockels den
Gesamteindruck erheblich.
24
Detail
aus Abbildung 23. Darstellung einer chinesischen Hafenlandschaft auf
der Vase.
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Blumenbouquet
aus Abbildung 23.
Blumenvasenbilder aus Fayencefliesen
tragen auf den Rückseiten als Ansetzhilfen Buchstaben und Ziffern.
Warum die Fliesenbilder in der Amalienburg trotzdem fehlerhaft
angesetzt wurden, konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Aus
Erfahrungen mit Restaurierungsarbeiten u.a. in den Weltkulturerbestätten
Jagdschloss Falkenlust und Schloss Augustusburg zu Brühl vermute
ich, dass diese Hinweise bei der Zweitverwendung wegen anhaftender Mörtelreste
nicht erkannt wurden. Weiterhin kann es sein, dass bei der Demontage
der keramischen Wandbekleidungen in der Münchener Residenz Fliesen
zu Bruch gingen, aber für die Wiederverwendung nicht restauriert
wurden. Zudem sind noch mögliche Ursachen wie falsche Verpackung,
Lagerung und nicht sachgerechter Transport der losen Fliesen zu berücksichtigen.
Durch Rekonstruktionsversuche von Frau Dr. Kiby ist nachgewiesen,
dass Fliesen zwischen den drei Blumenvasenbildern vertauscht wurden
und sogar Fliesen aus einem nicht in der Amalienburg angesetzten
Bild Verwendung fanden.
Trotz aller optischen Mängel sind die
drei Blumenvasenbilder aus Fayencefliesen im Gesamtbild sehr
beeindruckend.
Bitte beachten Sie meine früheren Veröffentlichungen
HAHN UND PAPAGEI AUF BLUMENVASENTABLEAUS
http://www.tegels-uit-rotterdam.com/hahnundpapagei.html
DE HAAN EN DE PAPEGAAI OP
BLOEMVAASTABLEAUS
-WITH
SUMMERY-
http://www.tegels-uit-rotterdam.com/hahnundpapagei_niederl.html
(1) Ulrika Kiby versuchte in ihrem Bericht „Die Küche
der Amalienburg im Schloßgarten von Nymphenburg zu München“ in:
KERAMOS, Heft 108, April 1985, die fotografische Rekonstruktion von Fliesenbildern.
Für die Blumenvasenbilder stellte sie fest, dass
Fliesen nicht nur innerhalb der Bilder an anderen Stellen hätten
angesetzt werden müssen, sondern auch, dass Fliesen der drei Bilder
vertauscht wurden, ja sogar, dass mehrere Fliesen fehlen, dafür
aber nicht zugehörige Fliesen eingesetzt wurden.
(2) Jkvr. Carla H. de Jonge, 'Hollandse
tegelkamers in Duitse en Franse kastelen', in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek, 1959.
Sie vertrat als erste die These, dass die
polychromen Fayencetableaus in der Küche der Amalienburg aus 1729
ausgebrannten Räumen der Münchener Residenz übernommen wurden.
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