Eckhard Woide
Diesen
Bericht widme ich Eckhard Woide, einem lieben Menschen, den ich über
die Erforschung der Geschichte der Fliese kennen und schätzen
lernte.
Eckhard
wurde am 05.05.1935 in Breslau geboren. Nach dem 2. Weltkrieg kam er
1947 als Flüchtling mit seinen Eltern 1947 nach Schüttorf /
Niedersachsen. Nach dem Studium an der Pädagogischen Hochschule
Osnabrück begann Eckhard seinen Schuldienst am 01.04.1960 in
Itterbeck in der Grafschaft Bentheim. Dem Gymnasium in Neuenhaus gehörte
er von 1967 bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1996 an.
Er
erforschte, wie ich, mit Rainer Margraf von der Universität Osnabrück
den Weg niederländischer Fliesen nach Frankreich, Spanien und
Portugal. Die erworbenen Kenntnisse über niederländische Fliesen führten
bei Eckhard zu Kontakten in osteuropäische Länder.
In
den Jahren 1990, 1991 und 1992 besuchte Eckhard Woide den am südwestlichen
Rand von Warschau gelegenen Wilanów-Palast und fertigte eine
hervorragende Fotodokumentation der niederländischen Fliesen des
17. Jahrhunderts im Gabinet Farfurowy.
Eckhard
Woide starb am 28. Mai 2011. Seine Frau Christa übergab im Juli
2012 eine Diasammlung mit Veröffentlichungsrechten dem bekannten
Fliesenforscher Jan Pluis.
Jan
Pluis erhielt 2014 von Frau Woide noch einen Ordner, darin auch ein
Konzept für einen druckreifen Bericht zu den Fliesenarbeiten im
Wilanów-Palast.
Die
Berichte und Fotos von Eckhard Woide aus dem Gabinet Farfurowy
bilden den Grundstock für diesen Bericht.
Wilanów-Palast
01
Mittelteil
der Fassade des Schlosses
Der
Palast wurde von 1677 bis 1696 im Auftrag von König Jan III.
Sobieski am südlichen Ende des Warschauer Königsweges im
polnischen Barockstil erbaut und gilt als polnisches Versailles.
Wilanów ist die polnische Umschreibung der italienischen
Bezeichnung „Villa Nova“.
Nach
dem Tod von Jan III. Sobieski residierte sein Nachfolger König
August II. der Starke hier bis 1700. Er war berühmt für die
ausschweifenden Feste, die er in Wilanów veranstaltete. Danach ging
der Palast nacheinander in den Besitz der Magnatenfamilien
Sieniawski, Lubomirski, Czartoryski, Potocki und Branicki über, die
ihn in den Formen der folgenden Epochen umgestalteten.
Bauherr
02
König
Jan III. Sobieski 1683 bei Wien während der zweiten Belagerung
Wiens durch die Türken.
Gemälde von Jerzy Siemiginowski-Eleuter.
Bauherr
der Schloss- und Parkanlage war Jan III. Sobieski (* 17. August 1629
in Olesko, Ukraine; + 17 Juni 1696 in Wilanów). Er war polnischer
Adeliger, Feldherr und ab 1674 König von Polen und Großfürst von
Litauen. König Jan III. Sobieski gilt als Retter Wiens, da er am
12. September 1683 bei der Schlacht am Kahlenberg den entscheidenden
Angriff gegen die Türken führte und die osmanische Armee unter Großwesir
Kara Mustafa zerschlug.
Bauherrin
03
Königin
Maria Kazimiera mit Kinder (ca. 1684).
Gemälde von Jerzy Siemiginowski-Eleuter.
Marie
Casimire Louise de la Grange d’Arquien (* 28. Juni 1641 in Nevers;
+ 17. Januar 1716 in Blois) heiratete am 5. Juli 1665 Jan III.
Sobieski. Maria Kazimiera, genannt „Marysieńka“ (Mariechen) war
von 1674 bis 1696 Königin von Polen und Großfürstin von Litauen.
Sie gebar dreizehn Kinder, von denen allerdings nur vier das
Erwachsenenalter erreichten: Jakob (1667–1737), Theresa Kunigunde
(1676–1730), Alexander (1677–1714) und Konstanty Władysław
(1680–1726).
Die
Fliesenbekleidung ihres Kabinetts ist Thema dieses Berichtes!
Theresa
Kunigunde (* 4. März 1676 in Krakau; + 10. März 1730 in Venedig),
Tochter des Königspaares Sobieski, heiratete am 12. Januar 1695 den
Kurfürsten Maximilian II. Emanuel von Bayern.
Es bestehen Verbindungen von Wilanów zu den Nymphenburger Bauten
Pagodenburg und Badenburg. Als Mutter von Kurfürst Clemens August
gibt es demgemäß auch eine Verbindung zu den Brühler Schlössern
Augustusburg und Falkenlust mit ihren hervorragenden
Fliesenarbeiten.
Architekt
des Schlosses Wilanów
Augustyn Wincenty Locci (* um 1640 - † 22. Oktober 1732) entwarf für
König Jan III. Sobieski Neu- und Umbauten sowie Einrichtungen königlicher
Residenzen (z.B. in Żółkiew und am Warschauer Königsschloss).
Die bedeutendste Arbeit des polnischen Architekten italienischer
Abstammung, der auch König Johann III. Sobieski als Sekretär und
Hauptingenieur diente, war der Bau des königlichen Palastes in
Wilanów von 1677 bis 1696.
‚Gabinet
Farfurowy‘ (Fayencekabinett)
04
Ansicht
vom Garten
In
den Jahren 1681-1682 folgte die zweite Etappe der Bauarbeiten am
Palast mit Aufstockung des Baukörpers um ein Halbgeschoss, mit den
Eckbauten sowie dem Bau einer Gartengalerie mit viereckigen Türmen
als Abschluss.
Das
‚Gabinet
Farfurowy‘ mit den niederländischen Fliesen des 17.
Jahrhunderts befindet sich in einem der Räume des Erkers, der in
den Jahren 1681-1682 aufgestockt wurde.
Allgemeine
Beschreibung des Raumes
05
Aufwendig
stuckierte Decke
Der
für Königin Marie Casimire Sobieska eingerichtete Toilette- und
Ankleideraum, auch als Fayencekabinett (Gabinet
Farfurowy) bekannt, ist vom Boden bis zum Ansatz der Stuckdecke
mit blau bemalten Fayencefliesen bekleidet. Deckenansatz und Decke
sind aufwendig stuckiert. In den Ecken findet man Stuckmedaillons
mit Allegorien der vier Elemente: Feuer, Luft, Wasser und Erde.
Fliesendekoration
06
Nordseite
Foto: Muzeum Pałacu Króla Jana III w Wilanowie, Gabinet Farfurowy,
strona północna, fot. C54609 Zbigniew Reszka 2.10.2012
Blau
bemalte Fayencefliesen bedecken alle vier Wände des Raumes. In
Nord- und Ostwand gibt es jeweils einen Durchgang zu angrenzenden Räumen.
07
Ostseite
Foto: Muzeum Pałacu Króla Jana III w Wilanowie, Gabinet Farfurowy,
strona wschodnia, fot. C54610 Zbigniew Reszka 2.10.2012
Vier
Blumenvasentableaus sind übereinander angeordnet und durch
senkrecht verlaufende Fliesenreihen unterbrochen.
Bei
Tableaus und Serienfliesen ist jeweils ein inhaltlicher Rhythmus
festzustellen.
08
Südseite
Foto: Muzeum Pałacu Króla Jana III w Wilanowie, Gabinet Farfurowy,
południowa strona, fot. C54611 Zbigniew. Reszka 2.10.2012
09
Westseite
Foto: Muzeum Pałacu Króla Jana III w Wilanowie, Gabinet Farfurowy,
zachodnia strona, fot. C54612 Zbigniew. Reszka 2.10.2012
In
Süd- und Westwand gibt es mittig ein Fenster. Fensterlaibungen und
Fensterstürze sind mit Fliesen bekleidet.
An
allen vier Wänden gibt es zwischen Dielenboden und
Blumenvasentableaus zwei waagerechte Fliesenreihen.
Beschreibung
der Blumenvasentableaus
Die
4 x 3 Fliesen großen Tableaus zeigen in kobaltblauer Bemalung
Henkelvasen mit üppigem Blumenschmuck, umrahmt von floralen Kränzen.
Die Blumenvasentableaus wurden in Aufglasurmalerei mit Goldfarbe gehöht.
Markanteste Darstellungen auf allen Tableaus sind einzelne große
bekrönende Blüten.
Sie
zeigen in gleichem Rythmus
Typ
1 = Lilium martagon (Türkenbundlilie)
Typ
2 = Helianthus (Sonnenblume)
Typ
3 = Fritillaria imperialis (Kaiserkrone)
Typ
4 = Tulipa (Papageientulpe)
Unterbrochen
wird dieser Rhythmus nur durch die beiden Durchgänge und die
Bereiche der beiden Fenster.
10
11
Typ 1 (Türkenbundlilie)
12 Typ 2 (Sonnenblume)
13
Typ 3 (Kaiserkrone)
14 Typ 4 (Tulpe)
Anzahl
der Blumenvasentableaus
Typ
1 Lilium martagon (Türkenbundlilie) = 23
Typ
2 Helianthus (Sonnenblume) = 23
Typ
3 Fritillaria imperialis (Kaiserkrone) = 23
Typ
4 Tulipa (Tulpe) = 23
Über
dem Durchgang Nordseite = Sonnenblume / Tulpe / Türkenbundlilie
Über
dem Durchgang Ostseite = 3 x Tulpe
Über
dem Fenster Südseite = 3 x Tulpe
Über
dem Fenster Westseite = 3 x Tulpe
Fensterlaibungen
Südseite = 2 x Türkenbundlilie, 2 x Sonnenblume, 2 x Kaiserkrone
Fenstersturz
Südseite = 3 x Kaiserkrone
Fensterlaibungen
Westseite = 2 x Türkenbundlilie, 2 x Sonnenblume, 2 x Kaiserkrone
Fenstersturz
Westseite = 3 x Kaiserkrone
Typ
1 = 28, Typ 2 = 28, Typ 3 = 33, Typ 4 = 33
Das
sind insgesamt 122 Blumenvasentableaus!
===============================
Neun
der einhundertweiundzwanzig Tableaus sind in den Fensterbereichen
inkomplett.
Beschreibung
der Blumenvasen und der ovalen floralen Kränze
Auf
den Tableaus sieht man Balustervasen auf Scheibenfuß mit Nodus und
umgeschlagenem Lippenrand. In den bauchigen Bereichen finden sich
Bildkompositionen mit florale Darstellungen aber auch mit
Chinesoiserien.
Die
Typen 1 (Lilium martagon) und 2 (Helianthus) haben figürliche
Henkel in Form von geflügelten Drachen. Die Typen 3 (Fritillaria
imperialis) und 4 (Tulipa) zeigen figürliche Henkel in Form von
weiblichen Seewesen mit Fischschwanz, die ihre Hände über den Brüsten
falten.
Alle
ovalen floralen Kränze mit Knospen, Blüten, Stielen und Bändern
sind identisch, allerdings bei den Typen 3 und 4 gegenüber den
Typen 1 und 2 gespiegelt dargestellt. Trotz der Benutzung von
Durchstaubschablonen variieren Blüten, Blätter, Insekten und
florale Kränze durch unterschiedliche Umsetzung der Vorlage vom
Fliesenmaler.
Ob
die Blumenvasentableaus nach grafischen Vorlagen gemalt wurden, ließ
sich bis jetzt noch nicht nachweisen.
Florale
Darstellungen auf Blumenvasentableaus
15
16
17
18
Chinoiserien
auf Blumenvasentableaus
19
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21
22
23
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25
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27 28
29
Die
Chinoiserien gibt es zum Teil auch spiegelbildlich.
Einflüsse
der Chinamode auf Schlossbau und Innendekoration
Der
venezianische Kaufmann Marco Polo berichtete nach der Rückkehr von
seiner Chinareise (1271-1295) vom chinesischen Reich und rückte es
in den Mittelpunkt des Interesses in Europa. Vor diesem Hintergrund
begann sich der Handel mit China über Karawanenwege zu entwickeln.
Reisende berichteten von einem Land des ewigen Frühlings, von Gärten
mit seltsamen Pflanzen und Menschen in einer hoch entwickelten
Kultur.
Der
portugiesische Seefahrer Vasco da Gama entdeckte 1498 den Seeweg
nach Indien. Portugiesen gründeten eine erste Handelsniederlassung
in Macao und verkauften ihre Waren auf asiatischen Märkten. Auf
ihren Rückreisen brachten sie hauptsächlich Seidenstoffe, Gewürze
und chinesisches Porzellan mit nach Portugal.
Holländische
Seeleute übernahmen nach 1588, der Niederlage der spanischen
Armada, mehr und mehr den Handel mit Ostasien. Sie gründeten 1602
die Ost-Indische Handelskompanie. Im gleichen Jahr gelang es ihnen,
ein portugiesisches Handelsschiff zu kapern. Zur Ladung gehörte
auch Porzellan aus China. 1604 gelang es ihnen nochmals ein
portugiesisches Frachtschiff zu kapern. Dieses Schiff hatte in der
Hauptsache Porzellan geladen, das auf einer Auktion in Amsterdam
verkauft wurde. Es soll sich um ca. 100.000 Stücke gehandelt haben.
Zu den Käufern gehörte vor allem der europäische Hochadel,
darunter König Heinrich IV. von Frankreich und König James I. von
England. Nach dieser Auktion stieg die Nachfrage nach chinesischem
Porzellan sprunghaft. Wer etwas auf sich hielt, sammelte
chinesisches Porzellan und stellte es in eigens eingerichteten
Porzellankabinetten zur Schau. Das Zeitalter der Chinamode war endgültig
angebrochen.
In
Europa wurde fieberhaft nach einem Rezept zur Herstellung von
Porzellan gesucht, was aber erst 1709 Johann Friedrich Böttger in
Dresden gelang.
Da
im 17. Jahrhundert die Herstellung von Porzellan in Europa noch unmöglich
war, wurde es in Farbe und Dekor durch Fayencen nachgeahmt. So
wurden Fayencefliesen im deutschsprachigen Raum auch ‘porcellaine
plättgen‘ genannt.
Zuschreibung
von Blumenvasentableaus und Einzelfliesen
Jan
Pluis, renommierter Kenner niederländischer Fliesen und Autor
verschiedener Standardwerke auf dem Gebiet von Fliesen und
friesischen Fayencen, schreibt die Blumenvasen und Bibelfliesen auf
Grund seiner Kenntnis bekannter signierter Arbeiten der Amsterdamer
Wertkstatt des Jan van Oort zu und datiert diese auf rund 1690.
Die
anderen Einzelfliesen mit figürlichen Darstellungen schreibt er der
Utrechter Werkstatt des Gerardus van Oort zu.
Jan
van Oort betrieb eine Fayencewerkstatt in Amsterdam, sein Bruder
eine Fayencewerkstatt in Utrecht. Beide waren Söhne des Utrechter
Fliesenfabrikanten Adriaen van Oort.
Je
vier übereinander angeordnete Blumenvasentableaus werden durch
senkrechte Reihen von fünfzehn Fliesen mit unterschiedlichen
Dekoren: galante Szenen, biblische Darstellungen, Reiter und
Landschaften unterbrochen. Auch bei den Einzelfliesen ist jeweils
ein inhaltlicher Rhythmus festzustellen.
In
jeder senkrechten Fliesenreihe findet man direkt über den
Scheuerleisten und im Anschluss an die Stuckdecke je eine halbe
Fliese, auf die eine goldene Schleife gemalt ist.
Diese
Abweichung vom waagerechten Fugenverlauf der Wandbekleidung verstärkt
die trennende Wirkung von senkrechten Fliesenreihen und angrenzenden
Blumenvasentableaus.
Alle
Darstellungen auf Fliesen der senkrechten Reihen befinden sich in
einem kalt aufgebrachten goldenen Kreis.
Fliesen
mit galanten Szenen
Von
den 127 galanten Szenen auf Fliesen im Fayencesaal konnten 38
unterschiedliche Darstellungen identifiziert werden. Wahrscheinlich
wurden sie in Utrecht gefertigt. Im Fries Museum in Leeuwarden
werden 36 Durchstaubschablonen (sponsen)
mit galanten Szenen aufbewahrt. Die Serie bestand wahrscheinlich aus
45 Szenen, denn auf vier Durchstaubschablonen findet man jeweils die
Zahl 45 notiert. Auf allen Durchstaubschablonen stehen die
Buchstaben PG, die Initialen von Pieter Grauda aus Harlingen. Es
scheint, als ob Grauda auf von anderen Fabrikanten gekauften
Durchstaubschablonen seine Initialen notierte. So verhält es sich
auch mit den Durchstaubschablonen mit galanten Szenen. Diese kamen
nach aller Wahrscheinlichkeit aus der Utrechter Fliesenwerkstatt Agter
‘t Weystraat / Oudegracht des Gerardus van Oort.
Die
Personen auf den Durchstaubschablonen und den Fliesen im Wilanów-Palast
sind schlanker und feiner gemalt als die auf Fliesen aus der
Harlinger Werkstatt des Pieter Grauda. Auffallend sind auch die
relativ kleinen Köpfe der Personen auf den galanten Szenen aus
Utrecht.
Die
Fliesen mit galanten Szenen in Wilanów haben kein, sonst auf
vergleichbaren Fliesen anzutreffendes, Eckmotiv spin.
Zwischen den Blumenvasentableaus wurden auf die Fliesen in kalter
Bemalung mit Goldfarbe Kreise aufgebracht. In Sockelzonen fehlen
diese goldfarbenen Kreise auf Fliesen mit galanten Szenen. Aber auch
hier fehlt das Eckmotiv spin.
Normalerweise
wurden Fliesen nach grafischen Vorlagen gemalt. Für die galanten
Szenen waren es auch Entwürfe der Gesina ter Borch.
30
Aquarellierte Zeichnung der Gesina ter Borch 31 Spons mit den Initialien PG (Pieter
Grauda)
Rijksmuseum Amsterdam
Utrecht, ca. 1685
32
Fliese im Muzeum Pałacu Króla Jana III w Wilanowie, Gabinet
Farfurowy
Utrecht, ca. 1690
Weitere
Gegenüberstellungen von Durchstaubschablonen und Fliesen mit
galanten Szenen
33
34
35
36
37
38
39
40
Biblische
Darstellungen
Es
gibt im Fayencekabinett (Gabinet
Farfurowy) 45 verschiedene Darstellungen: 28 aus dem Alten und
17 aus dem Neuen Testament. Alle Darstellungen befinden sich in
einem blauen Kreis, der an Ort und Stelle mit Goldfarbe übermalt
wurde, die hier und da schon abgeblättert ist. Als Eckmotiv wurde
der Ochsenkopf gewählt. Die Bibelfliesen findet man an allen Wänden
in den Reihen zwischen den Blumenvasentableaus jeweils als zweite,
sechste, zehnte und vierzehnte Fliese.
In
Fachkreisen werden Bibelfliesen mit diesen Darstellungen
normalerweise der Rotterdamer Fayencewerkstatt
Schiedamsedijk/Leuvehaven zugeschrieben.
Es
wurden aber nicht nur die Blumenvasentableaus sondern auch die
Bibelfliesen um 1690 bei Jan van Oort in Amsterdam gefertigt. So
gibt es vergleichbare Bibelfliesen neben Blumenvasentableaus des Jan
van Oort neben Wilanów auch in einem Wohnhaus in Wormer und in
Schloss Oranienbaum. Das ist ein Argument, die Bibelfliesen der
Amsterdamer Werkstatt des Jan van Oort zuzuschreiben.
Es
kann sein, dass ein Fliesenmaler von Rotterdam zu Jan van Oort nach
Amsterdam wechselte und Durchstaubschablonen mitnahm. Wechsel von
Fliesenmalern zu anderen Produktionsstätten waren nicht unüblich.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass im Fayencekabinett
Bibelfliesen zu finden sind, deren Darstellungen in Fachkreisen
normalerweise dem Produktionsort Rotterdam zugeschrieben werden,
aber in Amsterdam gemalt wurden.
Im
Tresoar in Leeuwarden, dem Archiv der Geschichte der niederländishen
Provinz Fryslân, liegen ungefähr 5000 Durchstaubschablonen, die
von dem Unternehmen Tichelaar aus Makkum stammen. Darunter befinden
sich viele, die ursprünglich in anderen niederländischen
Fliesenwerkstätten in Gebrauch waren. So kaufte Tichelaar 1918 eine
große Sammlung Durchstaubschablonen in Utrecht, die nachweislich
unter anderem auch schon in Amsterdam in Gebrauch waren. Dabei waren
auch Durchstaubschablonen, die für Bibelfliesen in Wilanów
gebraucht wurden. Die Wanderung der Durchstaubschlone ‘Absaloms
Tod‘ (2 Samuel 18:14) von der Rotterdamer Werkstatt Schiedamsedijk
/ Leuvehaven (Abraham van Lier, ab 1692 Pieter Janszn Aalmis) zur
Amsterdamer Werkstatt des Jan van Oort ist hierfür ein Beispiel.
41
Durchstaubschablone
42 Van Lier, Rotterdam, ca. 1680 43 van
Oort, Amsterdam, ca. 1690
Beispiele
aus dem Alten Testament
44
Gen. 21:14, Amsterdam, ca. 1680
45 Gen. 21:15-19a, Amsterdam, ca. 1680 46 Jona 2:11, Utrecht, ca. 1680
Die Vertreibung von Hagar
Ein Engel bei Hagar und Ismael
Jona wird an Land gespien
Beispiele
aus dem Neuen Testament
47
Mark. 6:28 / Mat. 14:11
48 Mat. 8:5-8 / Luk. 7:1-7
49 Apg. 8:38
Der Henker gibt Salome
Die Heilung eines Dieners des
Philippus tauft einen Kämmerer
das Haupt Johannes des Täufers
römischen Hauptmanns zu Kafarnaum
der
Königin von Äthiopien
‘Jona
wird an Land gespien‘ ist die einzige Bibelfliese im Wilanów-Palast,
die dem Herstellungsort Utrecht zugeschrieben werden kann.
Reiter
In
den keramischen Wandbekleidungen wurden zwischen Blumenvasentableaus
29 verschiedene Reiterfliesen in den Reihen 3, 7 und 11
eingearbeitet. Diese Reiter, allgemein Dragoner, gehören zur
leichten Kavallerie. Sie sind nicht geharnischt und tragen mit
Federbüschen geschmückte Kopfbedeckungen. Als Waffen tragen sie
Lanze, Schwert oder Hakenbüchse und attackieren damit ihre Gegner.
Die
vergoldeten Kreise wurden auch auf diese Fliesen nachträglich in
kalter Bemalung aufgebracht.
Obwohl
wenige Reiterfliesen aus Utrecht bekannt sind (die meisten datieren
noch vor 1690) gibt die Art der Ausführung des Eckmotivs
‚ossekop’ (Ochsenkopf) einen Hinweis darauf, dass diese Fliesen
dem Herstellungsort Utrecht zuzuschreiben sind.
50
51
52
Landschaften
Im
Fayencekabinett (Gabinet
Farfurowy) gibt es insgesamt 130 Landschaftsfliesen des Typs ‘landschap
op land’ mit 30 unterschiedlichen Motiven. Die Fliesen zeigen
Landschaften auf Bodenstücken und haben die ‘spin‘
als Eckmotiv. Dieser Typ Landschaftsfliesen war bei allen niederländischen
Fliesenfabrikanten in Produktion. Spezielle Merkmale für die in
Utrecht für Wilanów gefertigten Landschaftsfliesen sind runde
Aussparungen in den Bodenstücken und Rauch, der zickzackförmig aus
Kaminen steigt. Bei den Landschaftsfliesen wurden - bis auf denen in
Sockelbereichen - die blauen Kreise mit Goldfarbe übermalt.
53
54
55
56
Seewesen
In den Fliesenbekleidungen im Fayencesaal kommen hier und da einige
Fliesen mit Seewesen vor. Nach Vergleichen mit in Utrecht gefundenen
Fliesen mit Darstellungen von Seewesen, sind auch die aus dem Wilanów-Palast
dem Produktionsort Utrecht zuzuschreiben. Es sind kleine Seewesen
auf nach beiden Seiten auflaufender See. Diese Fliesen haben keine
in der Werkstatt gemalten Kreise. Die goldfarbenen Kreise wurden im
kalten Auftrag in Polen gemalt. Zwischen den Blumenvasentableaus
gibt es nur vier Fliesen mit Darstellungen von Seewesen. Weitere
Fliesen mit Darstellungen von Seewesen gibt es in Sockelbereichen
der Nord-, Ost-, Süd- und Westwand. Im Fayencekabinett gibt es
insgesamt 17 verschiedene Darstellungen Seewesen auf 31 Fliesen.
57
Seejungfrau mit
Krug
58 Seejungfrau mit Spiegel
Anzahl
der Einzelfliesen zwischen den Blumenvasen
19
x 15 = 285 Fliesen
19
x 2 halbe Fliesen = 38 halbe Fliesen
zuzüglich
3 x 3 = 9 Fliesen
zuzüglich
3 x 2 halbe Fliesen
insgesamt
= 294 Fliesen + 44 halbe Fliesen
===============================
Anzahl
der Einzelfliesen in den Sockelbereichen der Wände A-D
Wand
A: 22 x 2 = 44 Fliesen
Wand
B: 22 x 2 = 44 Fliesen
Wand
C: 21 x 2 = 42 Fliesen
Wand
D: 22 x 2 = 44 Fliesen
insgesamt
= 174 Fliesen
=================
59
Diese
niederländischen Reiterfliesen und Seewesen werden zum Teil von
einem Holzsockel überdeckt.
60
In
den Sockelbereichen gibt es Fliesen, die in den Jahren 1953-1954 von
Helena Husarska gemalt wurden.
Hier sind es in der oberen Reihe die Fliesen 1 und 3 von links, in
der unteren Reihe die Fliesen 1 bis 3 von links.
Benutzte
Literatur
Piotr
Oczko und Jan Pluis veröffentlichten 2014 das Buch ‘GABINET
FARFUROWY W PAŁACU W WILANOWIE‘ in polnischer Sprache mit der
englischen Zusammenfassung ‘The
Faience Room in Wilanów Palace. A studie in its History and
Iconography‘ und der niederländischen Zusammenfassung ‘Het
Faience Kabinet in Wilanówpalais. Een studie over de geschiedenis
en de iconografie‘ ISBN 978-8363580-29-2.
Das Buch hat 187 Illustrationen.
Gierveld Arend Jan, Pluis Jan, Fries
Aardewerk Harlingen. Bedrijfsgeschiedenis 1600-1933 & Producten
tot 1720, Leiden 2005.
Joliet
Wilhelm, Die
Geschichte der Fliese, Köln 1996.
Pluis
Jan, Bijbeltegels,
Bijbelse voorstellingen op Nederlandse wandtegels van de 17e tot 20e
eeuw / Bibelfliesen. Biblische Darstellungen auf niederländischen
Wandfliesen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, Münster 1994.
Pluis
Jan, De
Nederlandse Tegel, decors en benamingen 1570-1930 / The Dutch Tile,
Designs and Names 1570-1930 (met medewerking van D. Hanehuijk,
P. Bolwerk en J. van Loo), Leiden 2013.
Pluis
Jan, Fries
Aardewerk, Harlingen, Producten 1720-1933. Leiden 2005.
Sprangers
Peter, Utrechtse
tegels 1600-1900. Utrecht 2013.
Wikipedia
Bildnachweis
Piotr
Borusowski, Warszawa, 01
Muzeum
Narodowe, Warszawa (Wikimedia Commons) 02
Muzeum
Pałacu w Wilanowie (Wikimedia Commons) 03
Muzeum
Pałacu Króla Jana III w Wilanowie 06-09
Jan
Pluis, 30, 31, 33, 35, 37, 39, 41-43
Eckhard
Woide 04-05, 10-29, 44-60
Mein
Dank gilt Pawel Jaskanis, Direktor des Muzeum Pałacu Króla Jana
III w Wilanowie, für die Zurverfügungstellung und
Genehmigung zur Veröffentlichung der Bilder 06-09 in diesem Bericht
und den Angestellten des Museums Barbara Szelegejd, Aleksandra Przeździecka-Kujałowicz
und Tomasz Nakonieczny für ihre Hilfe.
Für
vielfältige Hilfe danke ich Jan Pluis und Piotr Oczko.
Meinem
Sohn Norbert danke ich für die Bearbeitung und Veröffentlichung
dieses Berichtes.
Muzeum
Pałacu Króla Jana III w Wilanowie
ul. Stanisława Kostki Potockiego 10/16
02-958 Warszawa
e-mail: muzeum@muzeum-wilanow.pl
Website:www.wilanow-palac.pl
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