Fliesen des 16. Jahrhunderts
in der Quinta das Torres, Azeitão

Azeitão ist ein Ort in Portugal im Landkreis Setúbal, auch bekannt unter dem Namen Vila Nogueira de Azeitão. Das Wort Azeitão stammt von azzeittum, aus dem Arabischen, und bezieht sich auf den extensiven Anbau von Ölbäumen in dieser Region.

Der Ort liegt an den Ausläufern der Serra Arrábida im Süden von Lissabon, ist bekannt für ausgezeichnetes Olivenöl und den Anbau guter Weine.

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Die Quinta das Torres ist eines der renommiertesten Beispiele von Landhauskultur in Portugal. Das prunkvolle Haus liegt versteckt in einem Wäldchen. Über einen offenen Innenhof gelangt man zum von zwei Pyramiden gekrönten Haus.
Die Quinta wurde um 1521 von D. Pedro Eça und seiner Ehefrau D. Maria da Silva im italienischen Stil erbaut.

 

 

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Vom Speiseraum mit Fliesenarbeiten des 16. Jahrhunderts geht der Blick auf einen angrenzenden See mit einem kleinen Teehaus.
An den beiden Schmalseiten des Raumes sind über den Türen große Fliesentableaus und als Sockel Fliesenfriese angesetzt.

Der bekannte portugiesische Fliesenforscher J.M. dos Santos Simoes erwähnte die Tableaus in der Quinta das Torres in seiner Veröffentlichung „Panneau de Majolique au Portugal“ (Bolletino de Museo Internationale della Ceramiche, fasc. III-IV, Faenza, F. Lega 1946), datierte diese in die Zeit um 1570 und schrieb sie Orazio Fontana (*um 1510 Castel Durante - +1571 Urbino) zu.

 

 

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Auf einer Fläche von 2,76 x 1,84 m (ohne Rahmung) ist »Der Brand von Troja«, eine Episode aus der »Aeneis« des Vergil dargestellt. Das Maß jeder Fliese beträgt 23 x 23 cm.

Im großen Epos der »Aeneis« des Vergil erzählt Aeneas Dido, der Königin Karthagos, von der Eroberung seiner Heimatstadt Troja mit Hilfe des Trojanischen Pferds, von seiner Flucht mit dem alten Vater Anchises auf den Schultern, seinem Söhnchen Askanius an der Hand und dem Verlust seiner Frau Kreusa.


Ovid beschrieb die Flucht aus dem brennenden Troja in seinen »Metamorphosen«. Die Fluchtszene wurde von Malern und Bildhauern immer wieder gerne dargestellt. Druckgrafik brachte die Szene breiteren Bevölkerungsschichten nahe. So ist es nicht verwunderlich, dass die Fluchtszene auch auf Fliesen dargestellt wurde.

 

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Ausschnitt aus dem Fliesentableau »Der Brand von Troja«.

 

 

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Der linke Teil des Fliesentableaus wird vom zerstörten Stadttor dominiert. Im Tordurchgang liegen Rammböcke und im Vordergrund erschlagene und sterbende Krieger.

 

 

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In der unteren Reihe gibt es Differenzen in der Anordnung der Fliesen.

 

 

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Im Hintergrund sieht man die brennende Stadt, im Mittelfeld das Trojanische Pferd.

 

 

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Dieses Detail zeigt beispielhaft Schrecken eines Krieges.

 

 

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Aeneas flüchtet mit seinem greisen Vater Anchises auf dem Rücken und dem Sohn Askanius zur Seite aus Troja. Dem Verteidiger von Troja war es vom Schicksal bestimmt den Untergang Trojas zu überleben.

 

Buch XIII,  Aeneas verläßt Troja, (623-642)

(623-627) "Doch erlaubt das Schicksal nicht, dass Trojas Hoffnung mit seinen Mauern vernichtet bleibe. Cytheras Spross, der Heros, trägt das Geheiligte und den Vater, der nicht minder heilig ist, auf den Schultern als ehrwürdige Last. Von so großen Schätzen wählt der Fromme dies als Kostbarstes und seinen Sohn Askanius."

 

 

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»Der Tod der Dido« (Aeneis des Vergil 4.258-705)

Im Speisesaal der Quinta das Torres ist gegenüber dem Fliesentableau »Der Brand von Troja« auf einem Fliesentableau von 2,76 x 1,84 m (ohne Rahmung) »Der Tod der Dido« dargestellt.

Das Fliesentableau ist in zwei Bildebenen aufgeteilt. Beide Ebenen sind durch einen Regenbogen, der zur Königin Dido führt, miteinander verbunden. Mit dem Regenbogen wird der Einfluss der olympischen Götter auf das irdische Geschehen gezeigt.

Dido, nach der Legende die Gründerin Karthagos, verliebt sich in den Helden Aeneas, der ihre Liebe erwidert, aber auf Befehl Jupiters seinen Weg nach Italien fortsetzen muss. Die Verlassene verflucht den Treulosen und tötet sich. Die Feindschaft zwischen Karthago und Rom hat damit ihre mythologische Begründung.

 

 

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Merkur hat den von Jupiter erteilten Auftrag, Aeneas zum Aufbruch nach Italien zu mahnen, ausgeführt und erstattet Bericht.

 

 

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Venus, Mutter und Beschützerin des Aeneas, im Streitgespräch mit Hera, der Feindin des Helden.

 

 

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Die Schiffe des Helden Aeneas und seiner Begleiter liegen im Hafen von Troja zum Auslaufen bereit.

 

 

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Die verzweifelte Dido stürzt sich vor einem lodernden Scheiterhaufen in ein Schwert.

 

 

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Incendio di Borgo – Der Borgobrand.

Die Fresken des Borgo-Brandes schuf Raffael, auch Raffaello Santi (*1483 in Urbino; †1520 in Rom), in den Jahren 1514-1517 in der Stanza dell'incendio di Borgo, einem Raum, der unter Julius II. als Gerichtsraum und unter Leo X. als Speisezimmer diente.

Das Bild des Borgobrandes zeigt Papst Leo IV. (847–855) auf einem Balkon, als er segnend den Großbrand im Borgo, einem Nachbarviertel des Vatikans, löscht.

 

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Raffaello Santi (*1483 in Urbino; †1520 in Rom)

 

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Orazio Fontana (*um 1510 in Castel Durante; †1571 in Urbino)

 

Aeneas, Anchises und Askanius im »Brand von Troja« wurden vom Fliesenmaler spiegelbildlich aus Raffaels Fresko »Der Borgobrand« übernommen.

 

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Detail aus dem Fresko »Der Borgobrand« des Raffaello Santi.

 

 

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Detail aus dem Fliesengemälde » Tod der Dido« des Orazio Fontana.

Die links neben dem Feuer stehende Frau und die rechts kniende Frau wurden vom Fliesenmaler spiegelbildlich aus Raffaels Fresko übernommen.

 

 

 

 

Fliesenfries im Speisesaal (ehemalige Loggia) der Quinta das Torres

 

In der ehemaligen Loggia der Quinta das Torres ist ein besonders schöner, reich bemalter Fliesenfries mit mythologischen Darstellungen und Jagdszenen erhalten.

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An der Schmalseite des Raumes sieht man über der Tür das Fliesengemälde »Der Brand von Troja«. An der rechten Seitenwand ist ein Teilbereich vom Fliesenfries zu erkennen.

Diese Fliesengemälde in Sockelbereichen des Speisesaals wurden nach Meinung des portugiesischen Fliesenexperten José Meco im 3. Viertel des 16. Jahrhunderts vermutlich in einer Lissaboner Werkstatt hergestellt.

 

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Im Vordergrund Mars und Venus, im Hintergrund Liebesgott Amor.

 

„Mars, verwirrt durch wahnsinnige Liebe zu Venus, wird vom schrecklichen Kriegsherren zum Liebhaber.“
Ovid, Ars Amatoria, 561-564

 

„Auch den Sonnengott, der alles mit seinem himmlischen Licht beherrscht, hat die Liebe ergriffen. Von seinen Liebesabenteuern will ich berichten. Als erster soll dieser Gott den Ehebruch der Venus mit Mars gesehen haben – sieht doch dieser Gott alles als erster. Die Tat schmerzte ihn, und er zeigte dem Ehemann, Junos Sohn, das Schäferstündchen an und den Ort an dem es stattfand.“
Ovid, Metamorphosen IV,  169-175

 

 

 

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Jagdszenen auf einem Fliesengemälde im Sockelbereich.

 

 

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Jagdhunde haben ein Wildschwein gestellt, der Jäger setzt an zum tödlichen Speerwurf (Detail aus Bild 22).

Die Fliesengemälde mit den vorherrschenden Farben Grün-Blau-Gelb sind durchgehend mit dem Eierstabmotiv gerahmt.

 

„Die calydonische Eberjagd“

„Von zwei Lanzen, die er warf, blieb die erste im Boden, die zweite mitten im Rücken des Ebers stecken. Während dieser wütet, sich im Kreise dreht und mit frischem Blut vermengten zischenden Schaum versprüht, ist der Held, der die Wunde schlug, sofort zur Stelle, reizt den Gegner zur Wut und stößt den blitzenden Jagdspeer von vorn tief in den Vorderbug, der auf ihn zustürmt.“ Ovid, Metamorphosen VIII, 414-419

 

 

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Detail aus Bild 22.

 

 

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Jagd auf einen Stier.

Es handelt sich wahrscheinlich um die Darstellung einer von Ovid in seinen Metamorphosen beschriebene Tat des Herakles.

 

 

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Detail aus Bild 25.

 

 

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Detail aus Bild 25.

 

Herakles und der Stier von Kreta (Metamorphosen des Ovid, VIII 169-176)

Als siebte der zwölf von Eurystheus gestellten Aufgaben sollte Herakles einen Stier bändigen und ihn dem Eurystheus bringen. Herakles bändigte das Tier und brachte es zu Eurystheus nach Mykene. Er zeigte den Stier diesem und ließ ihn sogleich wider frei.

Der Stier durchirrte Sparta und Arkadien und gelangte endlich nach Marathon, wo er beträchtliche Schäden anrichtete und viele Menschen tötete. Theseus bezwang den Stier schließlich und führte ihn nach Athen, wo dieser dem Apollon geopfert wurde.

 

 

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Aktaion überrascht Diana beim Bade und wird von ihr in einen Hirsch verwandelt.

„Sorglos durch den Wald streifend, betritt Aktaion die Grotte und überrascht die Badende. Die Nymphen suchen die Blöße der Göttin mit ihren Leibern zu decken, die sie jedoch um Haupteslänge überragt und unter dem Blick des Sterblichen glühend errötet. Ihres Bogens beraubt, bespritzt sie Aktaion mit dem Wasser der Quelle und ruft ihm zu: „Nun sag, wenn Du kannst, du habest mich nackt gesehen!“ Daraufhin wächst Aktaion ein Geweih aus der Mitte der Stirn, seine Ohren werden länger und länger, Hände und Füße wandeln sich zu gespaltenen Hufen und ein geschecktes Fell bedeckt seinen Leib."  
Ovid, Metamorphosen III, 143-205

 

 

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Detail aus Bild 28.

Die Göttin Diana nimmt mit ihren Dienerinnen ein Bad. Ein Hase im Bildfeld gehört zur erotischen Szene.

 

 

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Detail aus Bild 28.

Die Sockelzone im Speisesaal ist vier Fliesen hoch. Alle Fliesengemälde sind durchgehend mit dem integrierten Eierstabmotiv gerahmt.

 

 

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Detail aus Bild 28.

 

 

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Detail aus Bild 28.

 

 

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Detail aus Bild 33.

In der unteren Fliesenreihe wurde eine nicht zugehörige Fliese angesetzt.

 

 

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Detail aus Bild 33.

 

 

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Detail aus Bild 33.

In der oberen rechten Ecke hat der Fliesenmaler hinter den schroffen Felsen ein Gebirgspanorama mit Gämsen eingearbeitet.

 

 

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Hirschjagd.

 

 

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Detail aus Bild 37.

Aktaion, von Diana in einen Hirsch verwandelt, wird gejagt.

„Doch seine Gefährten treiben ahnungslos die wilde Schar mit den gewohnten Zurufen an; ihre Augen suchen Aktaion, und als wäre er abwesend rufen sie ihn. Als er seinen Namen hört, wendet er den Kopf zurück. Sie klagen darüber, dass er zu spät komme, um das Schauspiel des Fanges zu genießen. O wie gerne wäre er wirklich abwesend; doch er ist ja dabei! Wie gerne würde er das Wüten seiner Hunde nur mit ansehen, statt es selbst zu spüren! Von allen Seiten umstellen sie ihn, vergraben die Schnauzen in seinem Leibe und zerfleischen ihren Herrn in der Truggestalt des Hirsches. Und erst nachdem seinem Leben durch tausend Wunden ein Ende bereitete war, soll der Zorn der Köcher tragenden Diana befriedigt gewesen sein.  
Ovid, Metamorphosen III, 242-253

 

 

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Diesen Bericht widme ich meinem verstorbenen Fliesenfreund Rainer Marggraf. Mit ihm besuchte ich bei einer unserer Studienreisen 1992 in Azeitão die Quinta das Torres und die Quinta da Bacalhoa.

Herrn Jan Pluis danke ich für mythologische Zuordnungen.

Meinem Sohn Norbert danke ich für die Überarbeitung und Veröffentlichung des Berichtes.

 

 

Bildnachweis

01 Quinta das Torres

15 (16 und 18 Bearbeitungen)   Vatikanische Museen

02-14 / 17 / 19-38    Bildarchiv Rainer Marggraf

 

 

Literaturnachweis

Simoes, J.M. dos Santos  
“Panneau de Majolique au Portugal“ (Bolletino de Museo Internationale della Ceramiche, fasc. III-IV, Faenza, F. Lega 1946),

Ovid (Publius Ovidius Naso)
"Metamorphosen” – In deutsche Prosa übertragen von Michael von Albrecht
(Goldmann Klassiker, München 1981)

Meco, José und Marggraf, Rainer
“Azulejaria Portuguesa – Fliesenkultur in Portugal” (Bramsche 1989)

Publius Vergilius Maro
“Aeneis” (Reclam, Stuttgart 1989)

Joliet, Wilhelm
“Die Geschichte der Fliese” (Köln 1996)

Sabo, Rioletta und Falcato, Jorge Nuno
“Azulejos in Portugal” (München 1998)

Pluis, Jan & Stupperich, Reinhard
„Mythologische voorstellingen op Nederlandse tegels“
(Leiden 2011)

Wikipedia

 

 

 

Vatikanische Museen
Saal des Borgobrandes (1514-1517)

http://mv.vatican.va/6_DE/pages/SDR/SDR_04_SalaInce.html

 

Azulejos de Azeitão

http://www.azulejosdeazeitao.com