GESCHICHTE DER SERVAIS-WERKE WITTERSCHLICK

 

Witterschlick liegt in unmittelbarer Nähe der Stadt Bonn am südlichen Ende des Vorgebirges im Nordrhein-Westfälischen Rhein-Siegkreis. Seit Jahrhunderten wurde in der Gegend Ton abgebaut. In und um Witterschlick entstanden Ziegeleien und Töpfereien. Man griff auf relativ nah unter der Oberfläche liegende helle Tonschichten zurück.

Durch Zufall stießen die Brüder Johann und Joseph Braun im Jahre 1880 beim Bau eines Brunnens in Volmershoven, einem Ortsteil von Witterschlick, auf  blau-grau gefärbten Ton. Dieser war fester in der Konsistenz als der Ton aus höher gelegenen Schichten. Sie ließen Materialproben in der „Porzellan- und Steingutfabrik Ludwig Wessel“ in Bonn-Poppelsdorf prüfen. Das Ergebnis: Es handelte sich um wertvollen Blauton. Dieser zeichnet sich durch einen hohen Schmelzpunkt aus und ist zur Herstellung feuerfester Produkte geeignet. Nach der Entdeckung wertvoller Tonmineralvorkommen wurde Witterschlick industrialisiert.

Mit Philipp Lamberty und Bernhard Ferring hatte Paul Servais schon 1877 die Firma ‚Lamberty, Servais & Cie‘ zur Herstellung von Flurplatten, Trottoirsteinen, Röhren und feuerfestem Material in Ehrang bei Trier gegründet.

Paul Servais (14.07.1848 – 18.12.1908)
Generaldirektor und Mitinhaber der „Vereinigten Servais-Werke A.-G. zu Ehrang und Witterschlick“.
Foto aus der Tonindustrie-Zeitung vom 07.01.1909
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Paul Servais heiratete 1883 Anne-Marie Collart. Sie hatten 10 Kinder
(Pauly, Louis, Juliette. Suzanne, Madeleine, Philippe, Albert. Lizzy, François, Antoine).

 

Am 3. Oktober 1889 wurde in Witterschlick bei Bonn das Unternehmen ‚Thonwerke Witterschlick, Servais & Co‘ gegründet.

Inhaber des Unternehmens waren:

1.      Paul Servais, Kaufmann aus Ehrang

2.      Ernst Servais, Kaufmann aus Kürenz bei Trier

3.      Peter Ludwig, Kaufmann aus Lützel bei Koblenz

4.      Hubert Capitain, Kaufmann aus Vallendar bei Koblenz

5.      Xavier de Saint Hubert, Kaufmann aus Luxemburg

6.      Eduard Grach, Privatier aus Trier

7.      Julius Collart, Hüttenbesitzer aus Steinfort (Luxemburg); Schwiegervater von Paul Servais, eingetreten 1890

8.      Alphons Majerus, Notar in Mondorf-les-Bains, Luxemburg, Schwager von Paul Servais, eingetreten 1891

 

Der Standort war wegen der nahen Ton- und Quarzvorkommen aber auch wegen der Nähe zu rheinischen Großstädten gut gewählt.
Gebäude und Industrieanlagen wurden unter Direktor Konrad Schimm 1890 fertiggestellt. Seit dieser Zeit dominieren die Servais-Werke den Ort.

Nach Direktor Konrad Schimm 1888-1895, folgten die Direktoren Fritz Grasse 1895-1896, Emil Stege 1896-1898 und Max Georg Villaret 1898-1915.

Die Werke in Ehrang und Witterschlick fusionierten am 23. Juli 1902 zur Aktiengesellschaft ‚Vereinigte Servais-Werke Ehrang-Witterschlick‘. Es wurden Verblendsteine, unglasierte und glasierte Terrakotten und feuerfeste Steine produziert. Vorstandsmitglieder waren Paul Servais und Xaver de Saint Hubert. In eigenen Gruben baute man im Gebiet von Witterschlick Ton für die eigene Produktion aber auch zum Vertrieb ab.

Ein Feuer zerstörte 1904 das Werk in Witterschlick vollständig. Es wurde bis 1905 wieder aufgebaut und durch einen Produktionszweig zur Herstellung von glasierten Wandplatten erweitert. 

Auf der Weltausstellung Brüssel errang das ‚Thonwerk Witterschlick Servais & Cie‘ 1912 einen Ehrenpreis.

 

 

In den Jahren 1910-1912 wurden einige Bereiche wegen gestiegener Nachfrage modernisiert und erweitert. Mit Ausbruch des 1. Weltkrieges veränderte sich die Produktion. Es stieg die Nachfrage nach feuerfesten Produkten für die Rüstungsindustrie. Die Kapazität wurde 1915 durch den Kauf einer weiteren Tongrube und die Fertigung feuerfester Produkte in einem Zweigwerk in Hangelar erweitert. Direktor war (?) Görtz von 1915-1930.

Ab 1918, dem Ende des 1. Weltkrieges sank die Nachfrage nach feuerfesten Schamotteprodukten. Im Werk Witterschlick wandte man sich deshalb wieder der Plattenproduktion zu (Anmerkung: Damals wurde die heutige Fliese noch als Platte bezeichnet). Den Schwerpunkt legte man auf die Herstellung glasierter Wandfliesen. Nachgefragt waren vor allem uni weiße und elfenbeinfarbene Fliesen. Majolikafliesen, mit durchscheinender Bleiglasur, vergrößerten ihren Marktanteil.

Die Werke in Ehrang bei Trier schieden 1921 aus dem Verband mit Witterschlick aus und gingen in die ‚Vereinigte Mosaik- und Wandplatten AG Friedland-Sinzig‘ über. Witterschlick war Sitz der verbliebenen ‚Servais AG‘.

Das Werk in Hangelar nahm 1927 die Herstellung von Fußbodenklinker auf. Diese ‚Servais-Stahlklinker‘ wurden im Laufe der Zeit zum weltbekannten keramischen Produkt.

Franz Servais war von 1930 bis 1942 Direktor der Servais AG.

 

Philippe Servais (1894 – 1967)

Um 1934 begann Philippe Servais seine Tätigkeit bei den Vereinigten Servais-Werken AG in Witterschlick.

Er war verheiratet mit Lucy geb. Würth. Das Ehepaar wohnte in einer Villa in Witterschlick in der Duisdorfer Straße mit ihren Kindern Paul, Carlo und Luise.

Foto aus Trenkle, Klaus, Bilder von Witterschlick – 1050 Jahre Ortsgeschichte,
Beiträge zur Geschichte von Witterschlick, Heft Nr. 20, Witterschlick 2015

 

Mitglieder der Familie Servais verkauften 1939 66% ihres Anteils an der Servais AG an die Wesselwerk GmbH in Bonn.

Für die Zeit bis 1945 fehlen Daten und Fakten der Servais-Werke, da das Werk in Witterschlick gegen Ende des 2. Weltkrieges bei einem Bombenangriff fast völlig zerstört wurde. Bekannt ist, dass Franz Lechner von 1942 bis 1944 Direktor des Werkes war und Willy Haas die Direktion 1944 übernahm. Englische Besatzungssoldaten nahmen Quartier im vom Bombenangriff weitgehend verschonten Verwaltungsgebäude.

Im Jahr 1946 begann in neu erbauten Werkshallen die Produktion von Dachziegeln, einem keramischen Material, das zur Beseitigung von Kriegsschäden und ersten Neubauten dringend benötigt wurde. Ein weiterer wichtiger Zweig war die Fertigung von Isolatoren und anderen Isolationselementen aus Elektroporzellan.

Bis zur Gründung der Bundesrepublik und der DDR 1949 war Deutschland in Besatzungszonen aufgeteilt. Diese behinderten wirtschaftliche Aktivitäten.
Der Aufbau der Wandfliesenproduktion in Witterschlick begann 1949. Der Wiederaufbau des Werkes war 1950 abgeschlossen und der Start zum bedeutenden keramischen Großunternehmen erfolgt.

In der Zeit des Wiederaufbaus wurden Baunormen (DIN-Normen) verfasst, um Erfahrungen und Erkenntnisse unter Mitarbeit von einschlägigen Erzeugerkreisen, der Bauaufsicht, der Materialprüfung und der interessierten Abnehmerseite zusammenzufassen. In diesen ‚Normvorschriften‘ wurde - und wird - der jeweils höchste technische Stand festgehalten.

Die Fliese im deutschen Normenwerk (Stand 1952)

Normen der keramischen Fliese

DIN 18155 Keramische Wand- und Bodenfliesen

DIN 12912 Fliesen für Labortische

DIN 18352 Fliesen- und Plattenarbeiten; ATV – Teil C/VOB

Normen der Prüfverfahren

DIN 1065       Prüfverfahren für feuerfeste Baustoffe; spezifisches Gewicht, Raumgewicht, Wasseraufnahmevermögen, Porosität

DIN 51090     Prüfung keramischer Roh- und Werkstoffe; Biegeversuch an Bauteilen für Wand- und Bodenbeläge

DIN 51091     Bestimmung der Säure- und Laugenbeständigkeit von unglasierten Fliesen und Platten für Wand- und Bodenbeläge

DIN 51092     Bestimmung der Säure- und Laugenbeständigkeit von glasierten Fliesen und Platten für Wand- und Bodenbeläge

DIN 51093     Bestimmung der Temperaturwechselbeständigkeit von Fliesen und Platten für Wand- und Bodenbeläge

DIN 51094     Bestimmung der Lichtechtheit der Färbung von Fliesen und Platten für Wand- und Bodenbeläge

 

1952 – Blick vom Hardtberg auf Witterschlick und die Servais-Werke AG

Bild aus der Sammlung Karl-Heinz Krein, Witterschlick: veröffentlicht in Trenkle, Klaus, Bilder von Witterschlick – 1050 Jahre Ortsgeschichte, Beiträge zur Geschichte von Witterschlick, Heft Nr. 20, Witterschlick 2015.

 

 

1954 veröffentlichten die deutschen Wandfliesen-Werke im Fliesen-Taschenbuch diese Anzeige.

 

Der Fachverband der Keramischen Wand- und Bodenfliesen-Industrie schaltete im Fliesen-Taschenbuch 1954 die folgende Reklame:

 

 

Geschäftsführer des Fachverbandes der Keramischen Wand- und Bodenfliesen-Industrie war Dr. rer. pol. Erich Hückstädt.

Die Zeit des Wiederaufbaus und Wirtschaftswunders nahm ihren Anfang. Keramische Fliesen begannen einen Siegeszug. In 15 Werken Westdeutschlands sind im Jahre 1953 fast 7,5 Millionen Quadratmeter Wandfliesen und etwa 4,5 Millionen Quadratmeter Bodenfliesen hergestellt worden. Gegenüber 1949 bedeutete dies bei Wandfliesen eine Verdoppelung der Produktion. Bei Bodenfliesen betrug die Steigerung gegenüber 1949 fast das 2,5fache. Hierbei ist zu beachten, daß sich die Gesamtzahlen ausschließlich auf die feinkeramischen Erzeugnisse Wand- und Bodenfliesen bezogen und nicht etwa grobkeramische Produkte wie Klinkerplatten, Spaltverblender u. a. einschlossen.

Voraussetzungen für diese Fortschritte waren tiefgreifende Rationalisierungen in den Betrieben, angefangen von Verbesserungen technischer Einzelvorgänge bis zu grundsätzlichen Umstellungen im Brennprozeß, wobei der allgemeine Übergang zum Tunnelofen besonders hervorzuheben ist.

Es gab gute Kontakte zwischen der Fliesen produzierenden Industrie und dem Fliesen verarbeitenden Gewerbe. Das Fliesen- und Plattenverlegegewerbe nahm innerhalb der Bauberufe sowohl hinsichtlich der Zahl der Betriebe, wie auch des Umfanges seiner Leistung einen besonderen Platz ein. Den Vorsitz der Bundesfachgruppe im Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e.V. führte Fliesenlegermeister August Kurlbaum, Bonn. Über die ihm angeschlossenen 16 Landesfachgruppen betreute die Bundesorganisation rund 1700 Fliesen- und Plattenverlegebetriebe mit über 15000 Beschäftigten. Die Zahl der Lehrlinge erreichte 1750. Der Bundesfachgruppe Fliesen- und Plattenverlegegewerbe gehörten weitaus alle Fachgeschäfte und Verlegebetriebe des Fliesengewerbes im Bundesgebiet an, die ihrer Struktur nach neben dem Fliesenhandel in der Hauptsache Fliesen- und Plattenverlegearbeiten ausführten.

Die Servais-Werke, mit ihrem langjährigen Direktor Willy Haas, lieferten Fliesen vor allem ins Rheinland, ins Ruhrgebiet und in die Gegend um Frankfurt. Voraussetzungen für die Aufwärtsentwicklung der Witterschlicker Servais-Werke in nie geahnter Größe waren geschaffen. Die Produktion hatte sich im Jahre 1955 gegenüber den Jahren vor dem 2. Weltkrieg vervielfacht und die Belegschaft sich auf rund 600 Mitarbeiter verdoppelt.

In Witterschlick wurden ab 1954 flammglasierte Servais-Stahlklinker hergestellt. Im Fabrikationsprogramm waren Stahlklinker im Format 20/10/1,5 cm in sieben verschiedenen Farben, Treppenklinker mit und ohne Profil im Format 30/10/2,5 cm und Klinker mit Ablaufnase für Fensterabdeckungen im Format 25/12/2,5 cm. Dazu waren laut Sonderprospekt weiterhin lieferbar Servais-Stahlklinker rotbraun und rotbunt als Sechseck, Spitzklinker, Klinker mit trittsicheren Nocken, Klinker mit Netzprofil, Klinkerriemchen, Treppenklinker mit und ohne Profil, Klinker mit Ablaufnase für Fensterabdeckungen sowie Hohlkehlsockel mit und ohne Fase.

 

 

Der Bauboom ließ die Preise für Baumaterial unaufhörlich steigen. Um den Preisanstieg einzudämmen, wurden entsprechende Einfuhrzölle abgeschafft. Durch importierte Waren wurde das Angebot erhöht und Preise gesenkt. Betroffen waren auch die deutschen Fliesenhersteller. Italienische Fliesenwerke verdoppelten ihre Exporte nach Deutschland innerhalb von zwei Jahren, mit dem Ergebnis, dass die Marktpreise rapide sanken.

 

Ein gut installiertes kleines Fliesenbad. Die Fensterbank ist mit Fliesen bekleidet. Zehn Fliesen betrug damals die übliche Höhe der Fliesenbekleidung. Über der Reihe aus Abdeckfliesen fand man häufig einen sogenannten ‚Wischstreifen‘. Üblich war die Einarbeitung eines Revisionsrahmens in die Wannenblende in Höhe des Wannenablaufs.

Bild aus dem Fliesen-Taschenbuch, fünfte Ausgabe, Wiesbaden 1959.

 

 

Veröffentlichung im Fliesen-Taschenbuch, fünfte Auflage, Wiesbaden 1959.

 

Im Aufschwung der Nachkriegszeit erlebte das Heimwerken den großen Boom. Unter dem Motto ‚Selbst ist der Mann’ erschien am 1. November 1957 das erste Heimwerkermagazin.
Der erste Baumarkt eröffnete im April 1960 in Mannheim. Begünstigt wurde das Heimwerken mit Fliesen durch das Dünnbettverfahren.

Am 09.10.1959 starb der allseits beliebte Willy Haas, Direktor in Witterschlick seit 1944.

 

Anzeige der Servais-Werke AG

im Fliesen-Taschenbuch, sechste Auflage, Wiesbaden 1961.

 

Die deutschen Hersteller, darunter auch die Servais-Werke Witterschlick, verkauften nur über den Fliesenhandel und überließen das Geschäft mit den Baumärkten der ausländischen Konkurrenz. Zudem war die ausländische Konkurrenz mittlerweile aufgrund modernerer Fertigungsmethoden in der Lage, deutlich günstiger zu produzieren als die inländischen Hersteller. Die goldenen Zeiten der deutschen Fliese waren vorbei. Mancher Hersteller keramischer Produkte blieb auf der Strecke, Standorte wurden aufgegeben und mit Fusionen versuchten sich Werke zu sanieren.
Direktor Philipp Servais war bis zum 01.01.1964 im Vorstand der Servais-Werke AG.

Peter Weber und Rudolf Mezger wurden 1964 in den Vorstand berufen.

Die Servais Werke AG in Witterschlick behauptete sich am Markt. Ein Wandfliesen-Fabrikations-Programm vom Februar 1965 zeugt von deren Leistungsfähigkeit. Es wurden Wandfliesen im Normalformat 15x15 cm, Refo-Spezialformat 10,8x21,8 cm und Großformat 15x30 cm angeboten.

 

Die Färbung keramischer Glasuren wurde in der Regel durch geringe Beimengungen von Metallverbindungen erzeugt. Ab den 70 er Jahren wurde in der Wandfliesen-Produktion die Färbung der Glasuren jedoch ausschließlich durch die Zugabe von Farbkörpern erzielt. Das sind stabile unlösliche anorganische Farbpulver, die aus der Verbindung verschiedener Metallverbindungen mit anderen Rohstoffen wie Tonerde, Quarz oder Zink bei sehr hohen Temperaturen gebrannt, anschließend feingemahlen und den Glasuren zugegeben werden. So ergeben Mischungen aus Kobalt, Tonerde und Zink hellblaue bis tiefblaue, Mischungen aus Eisen, Kalk, und Zink rosa bis eisenrote und Mischungen aus Zinn und Chrom lila Farbpigmente.

Zu den aufgeführten Farben waren neben den Normalfliesen (Viereck, Abdeck, Ecken) Baderaumteile lieferbar.
Ferner wurden Rinnleisten in der Abmessung 2x15 cm, Eckleisten 2,8x15 cm und Deboleisten 5x15 cm angeboten.

 

Das Fabrikationsprogramm vom Juli 1966 enthielt u.a. Batik-Glasuren,
deren Oberflächenausdruck durch Geschmacksmuster geschützt war.

 

 

 

1967 starb Konsul Wilhelm Wessel. Dr. A.M. Kugelmeier übernahm den Vorsitz des Aufsichtsrates. Hauptaktionär wurde der mit der Tochter von Konsul Wilhelm Wessel verheiratete Dr. Nikolaus Fasolt.

Die Servais-Werke AG in Witterschlick und die Wessel-Werk GmbH in Bonn brachten parallel Achat-Fliesen auf den Markt. Beide Werke händigten Fliesenhandel und Fliesenhandwerk u.a. Prospekte für Achat-Fliesen aus. 

Titelseite vom Prospekt ‚Achat-Fliesen‘ der Servais-Werke AG aus dem Jahr 1968.

 

Zu den Steingutwandfliesen lieferte die Servais AG Baderaumteile in allen Glasurfarben.

 

   

 

   

 

   

 

Noch in den 60er Jahren gab es nur in jedem dritten Haushalt ein Badezimmer. Die üblichen Farben der Wandfliesen in diesen Bädern waren Blau, Grün und Rosa und das Format der Fliesen 15x15 cm. Fliesen wurden verarbeitet, weil sie als zweckmäßig, hygienisch, zeitlos schön und unbegrenzt haltbar galten.

In den 70er Jahren wurde das eigene Badezimmer zur Normalität. Bauherren machten von der Vielfalt angebotener Glasurfarben Gebrauch. Neben Zweckmäßigkeit und Hygiene trat nun die Optik in den Vordergrund. Dazu gehörte auch die teilweise Abkehr vom gängigen Format 15x15 cm der Fliesen zum Format 10,8x10,8 cm, dem Refo-Format 10,8x21,8 und zum Großformat 15x30 cm. Dieser Trend half der deutschen keramischen Industrie aus einer kurzfristigen Marktsättigung.

 

Servais-Werke AG um 1970

Bild aus der Sammlung Karl-Heinz Krein, Witterschlick
veröffentlicht in Trenkle, Klaus, Bilder von Witterschlick – 1050 Jahre Ortsgeschichte, Beiträge zur Geschichte von Witterschlick, Heft Nr. 20, Witterschlick 2015

 

1970 bestand der Vorstand der Servais AG aus Dr. Nikolaus Fasolt und den Direktoren Rudolf Mezger und Peter Weber.

 

Prospekt Juni 1971, Seite 1

 

Prospekt Juni 1971, Seite 2

 

Seite aus dem Katalog ‚SERVAIS DEKOR-WANDFLIESEN‘ von 1972.

Format 108x108 mm.

Eine passende Uniglasur gab es für die Dekore 8143, 8883, 9233, 9243, 9273 und 9283 mit der Fliese 9203.

Die passende Uniglasur für die Dekore 9257 und 9267 war die Fliese 9207.

 

 

Die Badezimmer der 70er Jahre wurden immer bunter. Nicht nur die farbigen Glasuren der Fliesen, sondern vor allem die farbigen Sanitäreinrichtungen prägten das Bild.

Sanitärfarben trugen die Bezeichnungen bahamabeige, balibraun, carneol, indischelfenbein, kalaharigelb, kaschmirbeige, moosgrün und sorrentoblau.

Für Werbefotos stellten die KERAMAG AG und die Ideal Standard GmbH der Servais-Werke AG ihre Sanitär-Keramik zur Verfügung.

 

PERGOLA 198x298x10 mm

Wand- und Bodenfliese, mit unterschiedlicher Schattierung in jeder Fliese und Blumendekor bringen kräftige Bewegung in den Raum.

Haselnuß ist die Grundfarbe. Das Blumenmotiv aus den Fliesen 22 5606, 22 5607 und 22 5608 hat die Farben curry-oliv und carneol-oliv.

 

 

Von der Servais-Werke AG wurden Fliesenhandel und Verlegebetrieben neben aussagekräftigem Prospektmaterial gegen Kostenerstattung Musterschränke in verschiedenen Größen zur Verfügung gestellt. Beliebt waren halbhohe Schränke mit vierzehn waagerechten Schiebetafeln. Die Tafeln hatten Griffe, welche ein Aufhängen an der Wand ermöglichten. Es konnten auch zusätzliche Aufstellkonsolen (siehe Abb.) geliefert werden.

 

 

Die Servais-Werke AG fertigte in ihrem Werk I in Alfter-Witterschlick Steingutfliesen nach DIN 18155 in den Formaten 15x15 cm, 10,8x10,8 cm und 9,8x19,8 cm, dazu Waprotect-Trennwände und Fliesen-Fix-Tafeln. Es war eine große Produktpalette mit mehr als 300 verschiedenen Dessins, Strukturen, Farben und Glasuren. Im Werk II wurden Servais-Bodenklinker und im Werk III feuerfeste Tone und Schamotte produziert.

Man versuchte, jede Nische auf dem keramischen Markt zu bedienen. 1976 stellte man 47 Millionen Quadratmeter Steingutfliesen her.

1977 wurde 75jähriges Bestehen der Servais AG gefeiert. Vorstand der Servais-Werke AG war Dr. Nikolaus Fasolt, gleichzeitig Chef der Wessel-Servais-Gruppe. Seine Stellvertreter waren Peter Weber (kaufmännischer Direktor) und Artur Mocker (technischer Direktor). Es wurden etwa 900 Personen in Fabrikation und Verwaltung beschäftigt.

Trotz aller Bemühungen sah man sich Mitte der 80er Jahre zu Fusionen gezwungen. Es kam zum Zusammenschluß der . 

Die AGROB aus Ismaning, seit Anfang der 70er Jahre das modernste Wandfliesenwerk Europas, kaufte die Anteile der Wessel-Werke in Bonn und der Servais-Werke in Witterschlick. Ab 1984 firmierte dieser Verbund als AGROB WESSEL SERVAIS AG. 

 

Die Fliesen der AWS wurden Anfang der 90er Jahre wieder heller. Farbige Sanitär-Keramik verlor ihren Stellenwert in deutschen Bädern. Dafür wurden Bordüren dominierende Elemente.

 

 Bordüre Nr. 413

 

Scan  aus dem Prospekt Wandfliesen 2 vom Juni 1984.

Steingutfliese, Serie ‚Eifel‘, Format 198x198x10 mm.
Diese Serie war
in den 80er Jahren eine der beliebtesten und meist verkauften.

Der Hinweis II bei der Unifliese besagte, dass diese Fliese bei leichter Beanspruchung auch als Bodenbelag verwendbar war.

 

1990 brachte die AWS die Serie ‚Capitol‘ auf den Markt. Durch eine neue Technik (Nass in Nass - Auftrag der Glasur) erzielte man eine Marmoroptik. Jede Fliese unterschied sich in der Struktur der Glasur von den anderen aus gleicher Charge. Siebdruckbedingte Aneinanderreihung gleicher Motive wurde damit überwunden. Jede Fliese war ein Unikat. Auch die Entwicklung in der Drucktechnik vom Siebdruck über den Offsetdruck bis hin zur digitalen Oberflächengestaltung veränderte die optische Gestaltung der Wand- und Bodenfliese.

Mittlerweile drängten neben europäischer Konkurrenz auch Fliesenwerke aus Fernost auf den deutschen Markt. Die AWS AG kämpfte trotz hervorragendem Design und technischer Innovation vergeblich um erforderliche Marktanteile. 

1992 fusionierte die AWS AG mit der Deutschen Steinzeug Cremer und Breuer AG aus Frechen.

2009 beschäftigte der Konzern 1605 Personen, davon etwa 350 in Produktion und Verwaltung in Alfter-Witterschlick.

Die Deutsche Steinzeug Cremer und Breuer AG entwickelte sich zu einem weltweit führenden Hersteller im Bereich keramischer Fliesen.

 

 

 

Was wird im Jahr 2021 im Werk Witterschlick produziert?

Im Werk Witterschlick werden in 4 Rollenöfen ausschließlich Steingutfliesen gefertigt. Die Formatpalette umfasst traditionelle Abmessungen wie 15x15, 15x30 und 20x20 genauso wie die Großformate 30x60, 30x90, 25x75 und 35x 100 cm, um nur die wichtigsten zu nennen. Seit dem Jahr 2020 fertigt das Unternehmen an diesem Standort auch Steingutfliesen in den Formaten 30x60 und 30 x90 cm, die mit nur sechs Millimeter Stärke deutlich dünner und leichter sind als herkömmliche Erzeugnisse dieser Produktgattung.“

 

FOCUS ROYAL

Dekorfliese Step 30x90 cm,

Herstellmaß 297x897x10,5 mm.


392739H weiß

 

 

 

 

392740H champagner

 

 

 

 

 

392742H dunkelrot

 

Scan aus dem Lieferprogramm Deutsche Steinzeug 2020, Living 10.22

 

 

Die Wandfliesen haben gerundete, geschliffene Kanten.

 

MODERN WHITE

Dekorfliese Botanic 30x60 cm,

Herstellmaß 297x597x9 mm

 

 

 

 

 

 

 

 

 

283113H

tropical garden

2er-Set

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

283114H

urban garden

2er-Set

 

Scan aus dem Lieferprogramm Deutsche Steinzeug 2020, Living 10.52

 

„Ein großer Anteil der produzierten Fliesen wird mit einer photokatalytischen Veredelung versehen, die bereits im Werk dauerhaft eingebrannt wird. Unter der Bezeichnung ‚Hytect‘ werden die mit dieser innovativen Lösung versehenen Produkte als ‚Hygienefliesen‘ beworben.

 

Deutsche Steinzeug Cremer & Breuer AG

Servaisstraße 9-11

D-53347 Alfter-Witterschlick

EMail: info@deutsche-steinzeug.de

https://www.deutsche-steinzeug.de/grafik/leer.gif

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Benutzte Literatur

Fliesen-Taschenbücher 1954, 1957, 1959 und 1961.

Trenkle, Klaus, Beiträge zur Geschichte von Witterschlick, Heft Nr. 20, Witterschlick 2015

Blum, Hans-Joachim, Fliesen aus Witterschlick, Witterschlick 2017

Deutsche Steinzeug Lieferprogramm 2020

Wikipedia

 

Danksagung

Meinen ehemaligen Meisterschülern Markus Austermann und Ralf Sädler danke ich für ihre Zurverfügungstellung von historischem Prospektmaterial.

Herr Hans-Joachim Blum schickte mir seine Veröffentlichung als PDF und erlaubte mir, daraus Daten und Fakten in meinen Bericht zu übernehmen.

Herrn Werner Ziegelmeier danke ich für mannigfaltige Hilfe.

Herr Dr. Klaus Trenkle genehmigte mir die Übernahme von einigen Daten und Fakten, vor allem aber von Bildmaterial aus seiner Veröffentlichung ‚Beiträge zur Geschichte von Witterschlick‘.

Meinem Sohn Norbert danke ich für die Bearbeitung und Veröffentlichung des Berichtes.