Mythologische Darstellungen

auf sechs Fliesengemälden nach grafischen Vorlagen

im Palácio da Rocha do Conde d’Óbidos in Lissabon

 

Palast

Er wurde von D. Vasco de Mascarenhas im 17. Jahrhundert auf einem Felsen, dessen Klippen schwindelerregend zum Tejo hin abfallen, erbaut. D. Vasco de Mascarenhas wurde portugiesischer Vizekönig von Brasilien, Held der Unabhängigkeitskriege und 1. Graf von Óbidos. Seine Nachkommen bewohnten den Palast, bis ihn 1919 das Portugiesischen Rote Kreuz erwarb. Der Palácio da Rocha do Conde d‘Óbidos wurde 1993 als Objekt von öffentlichem Interesse, historischem und künstlerischem Wert vom portugiesischen Staat anerkannt.

In fünf Sälen haben sich Zeugnisse seiner reichen Vergangenheit erhalten. Besonder wertvoll sind die Fliesengemälde in Sockelbereichen dieser Säle, darunter auch die in diesem Bericht beschriebenen sechs Fliesengemälde mit mythologischen Darstellungen.

 

Grafische Vorlagen

Für die mythologischen Gemälde benutzte ein mir unbekannter Fliesenmaler Grafik als Vorlagen.

Die Vorlagen für fünf dieser Gemälde sind mir bekannt.

Kupferstecher war Paulus van Somer II, der 1670-1674 in Paris arbeitete und 1675 als hugenottischer Flüchtling nach London kam. Er wurde 1691 eingebürgert und starb 1714 in London. Nicolas Langlois war der Verleger.

 

Ovid

Die Metamorphosen des römischen Dichters Publius Ovidius Naso wurden vermutlich um 1 bis 8 n.Chr. geschrieben. Sie sind ein in Hexametern verfasstes Gedicht über Metamorphosen, Verwandlungen in andere Gestalten. In fünfzehn Büchern zu je siebenhundert bis neunhundert Verse wird die Geschichte der Welt in rund zweihunderfünfzig Einzelsagen aus der römischen und griechischen Mythologie erzählt. Von ihrem Erscheinen an sind die Metamorphosen des Ovid die populärsten Mythendichtungen. Der Einfluss dieses Werkes auf Literatur und bildende Kunst ist bis hin zur Neuzeit enorm.

 

 

Apollo und Daphne, Metamorphosen des Ovid, Buch 1, Verse 438 bis 463

 

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Rijksmuseum Amsterdam RP-P-1926-645, Blatt 4/6

 

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Der griechische Gott Apollo beleidigte den Gott der begehrlichen Liebe Eros, indem er ihn als schlechten Schützen verspottete. Aus Rache schoss Eros einen goldenen Liebespfeil auf Apollo und einen bleiernen auf die Nymphe Daphne ab. Durch das goldene Geschoß entbrannte der Gott in unsterblicher Liebe zur Nymphe, jedoch das bleierne bewirkte bei ihr das Gegenteil und sie floh vor ihm.

Die Bedrängung durch Apollo erschöpfte Daphne derart, dass sie ihren Vater, den Flussgott Peneios, bat ihre von Apollo so begehrte Gestalt zu verwandeln. Der Wunsch wurde ihr erfüllt und sie verwandelte sich, bei der letzten Begegnung mit Apollo, in einen Lorbeerbaum.

 

 

Raub der Europa, Metamorphosen des Ovid, Buch 2, Verse 812 bis 875

 

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Rijksmuseum Amsterdam RP-P-1926-643, Blatt 2/6

 

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Jupiter (Zeus) entführt als Stier verwandelt Europa, die Tochter des phönizischen Königs Agenor und der Telephassa.

 

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Nach Ovid verliebt sich Jupiter (röm. für Zeus) in Europa und verwandelt sich wegen seiner argwöhnischen Gattin Hera in einen Stier. Er nähert sich Europa, die mit Gefährtinnen am Strand ist. Europa füttert den Stier, streichelt ihn und umwindet seine Hörner mit Blumen. Schließlich traut sie sich sogar, auf ihn zu steigen – da geht der Stier ins Wasser und schwimmt auf das offene Meer hinaus. Er bringt Europa nach Kreta, wo er seine Stiergestalt ablegt und sich offenbart.

 

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Am Strand bleiben die teils entsetzten Gefährtinnen zurück.

 

 

Pyramus und Thisbe, Metamorphosen des Ovid, Buch 4, Verse 55 bis 186

 

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Rijksmuseum Amsterdam RP-P-1909-129, Blatt 5/6

 

Dieses Blatt gehört zur der aus sechs Blättern bestehenden mythologischen Serie des Paulus van Somer II. Es wurde vom Maler aber nicht als Vorlage für das Fliesengemälde benutzt.

Die eigentliche Vorlage ist mir nicht bekannt.

 

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Pyramus und Thisbe sind ein babylonisches Liebespaar, das sich aufgrund der Feindschaft ihrer Eltern nicht sehen darf. Die einzige Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren, stellt ein Spalt in einer Wand dar, die die Mitte der Häuser bildet, in denen auf der einen Seite Pyramus mit seinen Eltern und auf der anderen Seite Thisbe mit ihren Eltern leben.

Nach längerer Zeit vereinbaren Pyramus und Thisbe ein nächtliches Treffen unter einem schneeweißen Früchte tragenden Maulbeerbaum, um Babylon für immer hinter sich zu lassen. Thisbe trifft dort früher als Pyramus ein und flüchtet vor einer Löwin, die an einer Quelle trinkt und vom Fressen gerissenen Viehs noch ein blutiges Maul hat. Dabei verliert das Mädchen seinen Schleier, der von der Löwin zerrissen und mit Blut beschmiert wird. Als Pyramus diesen findet, nimmt er an, dass Thisbe von der Löwin getötet worden sei, und stürzt sich daher unter dem Maulbeerbaum in sein Schwert. Als Thisbe zurückkehrt und den sterbenden Geliebten findet, erkennt sie die Situation und stürzt sich, überwältigt von Schmerz und Liebe, in dessen von seinem Blut noch warmes Schwert. Ihre Bitte, der Baum möge zur Erinnerung an ihrer beider Tod die dunkle Farbe seiner Früchte behalten, wird von den Göttern erhört, und ebenso erfüllen die Eltern ihren Wunsch, die Asche des unglücklichen Paares in derselben Urne zu bestatten, damit sie beide für immer vereint seien.

 

 

Perseus und Andromeda, Metamorphosen des Ovid, Buch 4, Verse 665 bis 739

 

 09

Rijksmuseum Amsterdam RP-P-1926-642, Blatt 1/6

 

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Perseus, Sohn des Zeus und der Danaë, ist einer der berühmtesten Heroen in der griechischen Mythologie. An Äthiopiens Küste sieht er eine schöne junge Frau, die an einen Felsen gekettet ist. Sie erscheint blass und regungslos, so dass er zunächst glaubt, sie sei aus Stein gehauen. Schließlich sieht er ihr Haar wehen und eine Träne fließen.

Andromeda soll geopfert werden, weil ihre Mutter Kassiopeia damit geprahlt hat, sie sei viel schöner als die Nereiden, die schönen Meeresnymphen. Daher zürnt Poseidon und schickt das Meeresungeheuer Ketos, das die Küstengebiete mit so viel Unglück überhäuft, dass ein Seher befragt wird, was zu tun sei. Man müsse Andromeda dem Ungeheuer opfern, ist sein Spruch, und weil das Volk derselben Meinung ist, gibt ihr Vater, König Kepheus, nach.

 

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Als das Ungeheuer auf Andromeda zuschießt, um sie zu verschlingen, und deren Eltern wehklagend herbeieilen, erbittet sich Perseus für die Rettung Andromedas deren Hand und bekommt nicht nur diese, sondern auch das ganze Königreich versprochen. Perseus gelingt es, das Ungeheuer zu töten und dadurch Andromedas Leben zu retten.

 

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Die Ketten an Andromedas rechtem Arm und linken Bein werden gelöst.

 

 

Kephalos und Prokris, Metamorphosen des Ovid, Buch 7, Verse 795 bis 866

 

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Rijksmuseum Amsterdam RP-P-1926-647, Blatt 6/6

 

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Kephalos, Herrscher von Thorikos, war ein Sohn des Hermes und der Herse und Gemahl der Prokris. Als Geliebter der Eos soll er Vater des Phaëthon gewesen sein.

 

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Als Kephalos seine Gemahlin Prokris bei der Untreue mit Pteleon ertappte, blieb er ihrem Lager hernach acht Jahre lang fern. Es hieß aber auch, er selbst habe sich in Gestalt des Fremden genähert, um ihre Treue auf die Probe zu stellen; die Gabe, sich beliebig verwandeln zu können, sei ihm von Eos verliehen worden, die in ihn verliebt war.

Prokris jedenfalls floh beleidigt nach Kreta. Von dort kehrte sie mit einem unfehlbaren Jagdspeer und einem Hund zurück, dem kein Wild entgehen konnte. Sei es, dass sie diese Gaben von König Minos –für die Heilung von dessen Fluch – erhalten hatte, oder von der Jagdgöttin Artemis: Sie versöhnte sich mit ihrem gleichermaßen jagdbegeisterten Gemahl und machte ihm die beiden Wunderdinge zum Geschenk. Allerdings soll sie Kephalos zuvor selbst beschämt haben, indem sie ihn ihrerseits in Gestalt einer schönen Fremden verführte. Später lieh Kephalos den unermüdlichen Hund dem Amphitryon, um den Teumessischen Fuchs zu stellen.

 

 

Meleagros und Atalante, Metamorphosen des Ovid, Buch 8, Verse 260 bis 546

 

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Rijksmuseum Amsterdam, PP-P-1926-644, Blatt 3/6

 

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Meleagros ist in der  griechischen Mythologie der Sohn von Althaia und Oineus, dem König von Kalydon. Zwei seiner sechs Geschwister sind Tydeus und Deïaneira. Mit seiner Frau Kleopatra hatte er eine Tochter namens Polydora. Sieben Tage nach der Geburt von Meleagros erschienen die drei Moiren Klotho, Lachesis und Atropos.

Letztere verkündete Althaia, dass ihr Sohn lebt, solange das auf dem Herd brennende Holzscheit nicht vom Feuer verzehrt wird. Althaia löschte das Feuer und bewahrte das Holzstück auf, um Meleagros am Leben zu erhalten.

Bereits in jungen Jahren nahm er als einer der Argonauten mit Laokoon an der Seereise des Iason teil. Er gewann den Preis für das Speerwerfen bei den Spielen des Akastus.

Als er in seine Heimat Kalydon zurückgekehrt war, trieb dort der Kalydonische Eber sein Unwesen. Artemis, die Göttin der Jagd, hatte ihn ausgeschickt, um Althaia und Oineus dafür zu bestrafen, dass sie ein Opfer für sie vergessen hatten. Meleagros rief seine Gefährten zur Jagd zusammen. Die Teilnehmer waren Iason, Kastor & Pollux, Idas, Lynkeus, Peleus, Admetos, Peirithoos. Theseus und Atalante.

Atalante verletzte das Tier als Erste, anschließend gab Meleagros dem Schwein den Todesstoß. Meleagros überließ Atalante das Fell des Tieres, die Brüder von Althaia jedoch wurden eifersüchtig und entwendeten die Trophäe. Erzürnt tötete Meleagros daraufhin seine eigenen Verwandten, worauf Althaia aus Rache das aufbewahrte Holzscheit verbrannte. Dadurch starb Meleagros wie von Atropos vorhergesagt.

 

 

Würdigung

„Portugal ist das Land Europas, in dem es bei weitem die meisten Fliesenwandverkleidungen gab und man sie auch heute noch vielerorts findet. In neunzig Prozent der portugiesischen Kirchen, Kapellen und Klöster, in fünfundsiebzig Prozent der Herren und Lusthäuser und an einigen Tausend Fassaden – nicht nur auf der Halbinsel selbst, sondern auch auf den Inseln, den Azoren und Madeira – sind die Azulejos noch heute so erhalten, wie sie im Laufe der Jahrhunderte angebracht wurden. Auch jetzt noch nimmt die Azulejo-Kunst in Portugal einen der ersten Plätze ein, und man sagt, die Portugiesen könnten sie nicht entbehren.“

João Miguel dos Santos Simões (1907-1972),ein portugiesischer Kunsthistoriker, der sich auf Fliesen (Azulejos) spezialisierte.

 

 

Benutzte Literatur

José Meco, Rainer Marggraf, Fliesenkultur in Portugal – Azulejaria Portuguesa, Rasch Verlag Bramsche 1989.

Ana Paula Rebelo Correia, Les représentations des Métamorphoses d’Ovide dans les azulejos baroques portgais. Influence des modèles gravés français.  Aspects dela réceptions d’Ovide (Universitè de Toulouse, 10 octobre 2017). ANABASES Traditions e Réceptions de l’Antique. 2019 p. 269-276 - Aspects de la réceptionn d’Ovide planches pl. III-VIII

Wikipedia

 

 

Fotonachweis

José Meco und Rainer Marggraf unter Mitarbeit von Karl-Heinz Voth.

Die Fotos aus dem Palácio da Rocha do Conde d’Óbidos stammen aus dem Nachlass meines 1994 viel zu früh verstorbenen Fliesenfreundes Rainer Marggraf.

Für die grafischen Blätter: Rijksstudio Amsterdam, publiek domain.

 

 

Danksagung

Meinem Sohn Norbert danke ich für die Bearbeitung und Veröffentlichung des Berichtes.

 

 

Möglichkeit zur Besichtigung des Palastes

Die in diesem Bericht beschriebenen mythologischen Fliesengemälde stellen nur einen minimalen Teil der im Palast befindlichen  Fliesengemälde dar.

Für Historiker, Forscher und Touristen bietet das Portugiesische Rote Kreuz Führungen durch den Palast an. Besichtigungen werden nach Vereinbarung ab einer Mindestteilnehmerzahl von 15 Personen durchgeführt. Sie dauern ca. 1 Stunde.

 

 

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