01 Norden um 1845 mit Kanal und Windmühlen.
Stahlstich von Johann Gabriel Friedrich Poppel (1807-1882) nach
einer Zeichnung von Ludwig Rohbock.
Norden, eine der ältesten Städte Ostfrieslands und die
nordwestlichste Stadt auf deutschem Festland, ist Namensgeber der
Landschaft Norderland.
02 Altes Rathaus (
Ostfriesisches
Teemuseum Norden).
Das an der Westseite des Nordener Marktplatz liegende Gebäude
aus dem Jahr 1539 wurde bis 1884 als Rathaus genutzt. Das Alte
Rathaus beherbergt heute das Ostfriesischen
Teemuseum und die sogenannte Theelachtskammer. Diese Kammer ist
Verwaltungssitz der wohl ältesten noch bestehenden Genossenschaft
Europas.
In einer Planungs- und Bauzeit von 2011-2014 wurde das Alte
Rathaus umgebaut und mit einem benachbarten
Giebelhaus verbunden. Besucher können in der neu gestalteten
Ausstellung die
Erlebniswelt ostfriesischer Teekultur erfahren.
Gemäß
Bauakten handelt es sich bei den Fliesenbekleidungen um
Zweitverwendungen von Einzelfliesen und Fliesentableaus. Die
Herkunft der im Alten Rathaus angesetzten Fliesen konnte ich nicht
ermitteln.
Ich
veröffentliche diesen Bericht trotzdem, weil es dort sehenswerte niederländische Einzelfliesen und
Fliesentableaus gibt.
Bis auf das Seewesen (Abb. 04 bzw. Abb. 06) und die Hirten
(Abb. 14) können alle Einzelfliesen und Fliesentableaus dem
Produktionsort Harlingen zugeschrieben werden. Die Fliese mit dem
Seewesen wurde wahrscheinlich in Delft und die Hirten wurden um 1690
in Utrecht gefertigt.
Niederländische
Fliesen des 18. Jahrhunderts am Kamin im
Eingangsbereich des Alten Rathauses
Gemäß Bauakten gab es 1984 Renovierungsarbeiten; u.a. wurden Putz erneuert und der Kamin überarbeitet.
03 Vorderansicht des Kamins.
Markant sind die beiden Harlinger
Fliesentableaus ‘Blumenvase‘ an der Kaminschürze und
‘Steigendes Pferd‘ über dem gusseisernen Rahmen der
Brennkammer.
Es gibt dazu noch eine Vielfalt unterschiedlicher Dekore
bei den Einzel- und Randfliesen.
04 Detail der Vorderansicht des
offenen Kamins.
A
Fliesentableau ‚Steigendes Pferd‘ in ovaler
manganfarbener Rahmung mit Schleife.
Jan Pluis, der beste Kenner Harlinger Fliesen, schrieb das
Tableau dem Harlinger Fayencemaler Feite Jarigs de Boer zu und nahm
als Herstellungsdatum ca. 1815 an.
Jan Pluis, Fries Aardewerk, Harlingen, Producten 1720-1933, Abb.
164, Seite 85 (Primavera Pers Leiden 2005)
1
Sieben Bibelfliesen (kleine
histories) mit dem Eckmotiv ‚ossenkop‘.
2
Bibelfliese (historie
met tekst in cirkel) mit dem Eckmotiv ‚ossenkop‘,
‚David mit dem Kopf von
Goliat‘; Text: 1 SAM. 17 V 57.
3
Bibelfliese (historie
met tekst in cirkel) mit dem Eckmotiv ‚ossenkop‘‚
‚Jona wird an Land gespien‘;
Text: IONAS 2. V 10.
4
Hirtenfliese in der Malweise des Pieter Grauda
5
Seewesen (zeewezen)
mit dem Eckmotiv: ‚spin‘.
6
Darstellung von Personen in der Malweise des Pieter Grauda.
7+8
Tierdarstellungen (jacht)
mit dem Eckmotiv: ‚ossenkop‘.
9+10 Achtzehn
Landschaften im Kreis ( ´landschap
in cirkel´ ) mit dem Eckmotiv ‚ossenkop‘.
05 Fliesentableau ‚Steigendes
Pferd‘ in ovaler manganfarbener Rahmung mit Schleife
Das Harlinger Fliesentableau wird eingefaßt von sechs
Randeisten (halfjes met het
decor ‚Nommerlist‘). Harlingen, ca.1790.
06 Detail der Wandfläche, links
neben dem gusseisernen Rahmen der Brennkammer.
Den Fliesen sieht man deutlich ihr unterschiedliches Alter
und ihre unterschiedlichen Produktionsorte an.
Ein Beispiel ist das Seewesen mit dem markanten Eckmotiv:
´Rosettenspinne´. Die
Fliese kann dem Produktionsort Delft zugeschrieben werden.
Für eine Zweitverwendung sprechen die breiten Fugen zum
Ausgleich von Größendifferenzen der Fliesen.
07 Detail der Wandfläche rechts
neben dem Fliesentableau ‚Steigendes Pferd‘.
08 Kaminschürze, 18 Fliesen breit,
davon 16 sichtbar. Die Schürze geht nach links um 2 Fliesen Breite
bis zur Innenecke.
Oben: vier Fliesen mit dem Dekor ‘Roos op steel‘.
Unten: vier Fliesen (Diagonaal
decor ‘rozenster‘ met één hoekmotief, het grootste hoekmotief
vormt het centrale motief van de vier tegels). Das größte Eckmotiv bildet das Zentralmotiv der vier
Fliesen.
09 Linker Teilbereich der Kaminschürze.
Tiere im Kreis, in einem Harlinger Modellbuch ‘jacht’genannt,
mit dem Eckmotiv ‘spin‘;
in Sammlerkreisen ‘springertjes‘
genannt.
10 Vorderansicht der Kaminschürze
Am Anschluss zur Decke drei Reihen ‘Kleine bloemen‘.
Darunter eine Reihe Landschaften im Kreis mit dem
Eckmotiv ‚ossenkop‘.
Blumenvasentableau wird von 26 Fliesen
mit dem Dekor ‘jacht’ umrahmt.
Den unteren Abschluss bilden 7 Landschaften im Kreis mit
dem Eckmotiv ‚spin‘.
11 Blumenvasentableau; 5x4 Fliesen.
Gemäß Malweise tendiere ich dazu dieses Tableau dem
Harlinger Fayencemaler Meindert Jans Vogelzang (1761-1819)
zuzuschreiben.
Das Tableau ist umgeben von 18 Fliesen mit dem Dekor ‘Nommerlist‘.
12 Fliesen der Art „Landschap
in cirkel; hoekmotief: spin“ an der Schräge.
13 An der Wandschräge wurden jeweils
vier‚Rozenveren‘ zu
einem Dekor zusammengefügt.
Das größte Eckmotiv bildet hier das Zentralmotiv der vier Fliesen.
14 Rechte Seitenwand des Kamins.
An der rechten Seitenwand findet man Fliesen
unterschiedlichsten Alters und unterschiedlicher Produktionsstätten.
Die meisten Fliesen können dem Produktionsort Harlingen
zugeschrieben werden.
Die Hirtenfliesen wurden wahrscheinlich um 1690 in Utrecht
gefertigt.
15 Teilbereich der rechten Seitenwand
des Kamins.
Vorbilder für die drei Soldatenfliesen mit dem Eckmotiv ‚spin‘
waren Drucke aus Jacob de Gheijn: WAPENHANDELINGHE
VAN ROERS – MVSQVETTEN – ENDE SPIESSEN, SGraven Hage 1607.
(25)
16 „hoe hy den laedtsteck met een
verdraeyde hant, vvt de lade trecken sal, ende defurquet als noc
laten slepen, maer niet de Musquet.“
(37)
17 „hoe hy staende op de schilt
vvacht, de Musquet in de furquet ligghende, den rechten arm van
sich, de hant aenden drucker, ende de lade aende rechter heupe
houden sal, ghelijck dese figure bevvijst.“
(12)
18 „hoe hy vvel aenlegghen, en de
Musquet en de furquet met de lincker hant houden sal.“
19 Teilbereich der rechten Seitenwand
des Kamins.
Für die Fliesen 2 – 4 liegen
Durchstaubschablonen von Pieter Pieters Grauda im Fries Museum
Leeuwarden.
Mit Sicherheit gehören die Nummern 1 und 5 zur gleichen Serie.
Fliesen mit dieser Art Bemalung kommen auch im Wilanów-Palast
(polnisch: Palac w Wilanowie)
am südlichen Ende des Warschauer Königsweges im Warschauer
Stadtteil Wilanów vor.
Einen Bericht zu den Einzelfliesen und Fliesentableaus im Wilanów-Palast
veröffentlichte ich im Internet
Niederländische Fliesen des 17. Jahrhunderts im Wilanów-Palast
www.geschichte-der-fliese.de/wila.html
Piotr Oczko und Jan Pluis veröffentlichten
2013 zu den Einzelfliesen und Fliesentableaus im Wilanów-Palast in
polnischer Sprache das Buch ‚GABINET FARFUROWY W PALACU W
WILANOWIE (ISBN 978-8363580-29-2).
20 Detailbereich der Kaminschürze.
21 Detailbereich der Kaminschürze.
22 Rechte Seitenwand der Kaminschürze.
In den oberen Ecken sind jeweils vier Fliesen der Art ‚Roos
op steel‘ zu einem Dekor zusammengefügt.
Die untere linke Ecke besteht aus vier Fliesen der Art ‚Rozenveren‘
und die rechte untere Ecke aus vier Fliesen der Art ‚Rozenster‘.
23 Kanarienvogeltableau an der rechten
Seitenwand der Kaminschürze.
Kanarienvogeltableau, 2 x 3 Fliesen, Harlingen. Die Front
ist mit floralen Motiven in Ausspartechnik bemalt.
Ein solche Art der Bemalung kommt bei Vogelkäfigen auf Fliesen in
Rotterdam, Amsterdam und Utrecht nicht vor.
Jan Pluis schrieb dieses Tableau Meindert Jans Vogelsang zu und
setzte eine Zeit der Entstehung um 1790 an.
(Jan Pluis, Fries Aardewerk, Harlingen, Producten 1720-1933, Seite
63, Abb. 110)
Fliesenarbeiten
im Sitzungs- und Festsaal im Obergeschoß.
Historische Fliesen, altes Mobilar und kostbares Silber
verleihen dem Raum ein besonderes Ambiente. Sie vermitteln einen
Eindruck vom Leben reicher ostfriesischer Bürger im 18.
Jahrhundert.
Der historische Saal – auch Rummel genannt – wird vom Standesamt der Stadt Norden als
Trauzimmer angeboten.
24 Blick in den Sitzungs- und
Festsaal
25 Wand aus Harlinger Fliesen des 18.
Jahrhunderts zwischen zwei Fenstern und hinter einer Vitrine.
Fliesen des 18. Jahrhunderts sind im Sitzungs- bzw.
Festsaal in Zweitverwendung angesetzt.
1980 wurde der Kamin eingebaut und in der Renovierungsphase 2011 bis
2014 setzte man historische Fliesen im Dünnbettverfahren als Wandflächen.
Dass die Fliesenbekleidungen erst vor wenigen Jahren eingebrachte
wurden erkennt man u.a. an den breiten Fugen zum Ausgleich
unterschiedlicher Größen und Abweichungen von der Ebenflächigkeit.
Randbeschädigungen belegen mindestens
eine Zweitverwendung der historischen Fliesen.
26 Detail der Abbildung 25.
Zentral vier Fliesen ‚Rozenster‘,
umgeben von acht ‚Wezen‘
und in den vier Ecken je eine Fliese ‚Roos
op steel‘.
27 Wandfläche rechts neben der
Vitrine
28 Wandfläche links neben der Vitrine
29 Eckbereich zwischen Fenster- und
Kaminwand.
30 Ansicht des mit Einzelfliesen und
Fliesentableaus bekleideten Kamins.
31 Äusseres rechtes Seitenteil der Brennkammer
31 Rechte Seite der Kaminschürze mit
Kanarienvogel- und Blumenvasentableau.
32 Rechte Seite der Kaminschürze
Kanarienvogeltableau, blau, gelb, 2 x 3 Fliesen,
Blumenvasentableau, 3 x 3 Fliesen, beide Harlingen, ca. 1790.
Die untere Reihe bilden 7 ‚Kleine Bloemen‘.
33 Zwei Schiffstableaus an der
Vorderseite der Kaminschürze.
34 Feuerraum mit Fliesenbekleidungen,
Takenplatte und Kaminsäge.
35 Detail links neben der
Takenplatte.
36 Detail rechts neben der
Takenplatte.
37 Äusseres linkes Seitenteil des
Feuerraums.
38 Wandfläche mit zwei Fliesentableaus.
39 Kanarienvogelkäfig
Das Tableau besteht aus vier stark beschnittenen Fliesen. Es ist
eine andere Darstellung eines Vogelkäfigs als die beiden mit den
Abbildungen 23 und 32 gezeigten Tableaus. Das Tableau wurde
vermutlich um 1800 bei Tjallingii in Harlingen gemalt.
40 Soldat zu Pferd, 2 x 2 Fliesen.
Die Gestaltung von Landschaft, Wolken – vor allem aber
der Bodenfläche mit dem vorderen Abschluss – lassen nach meiner
Meinung eine Zuschreibung an Feite Jarigs de Boer zu. Er malte auch
das steigende Pferd am Kamin im Parterre (Teemuseum).
41 Ein Blick zurück ins Trauzimmer
der Stadt Norden.
Bildnachweis:
Bild 01: Wikipedia
Bild 02: Ostfriesisches Teemuseum Norden
Alle anderen Bilder: Norbert Joliet (2016)
Benutzte
Literatur:
Jan Pluis, Fries
Aardewerk, Harlingen, Producten 1720-1933, Leiden 2005
Jan Pluis, De Nederlandse
Tegel, decors en benamingen 1570-1930, Leiden 2013
Piotr Oczko - Jan Pluis ‚GABINET
FARFUROWY W PALACU W WILANOWIE (ISBN 978-8363580-29-2).
Meinem Fliesenfreund Jan Pluis danke ich für vielfältige
Hilfe und meinem Sohn Norbert für die Fotoarbeiten in Norden, der
Bearbeitung und Veröffentlichung des Berichtes.
Für Auskünfte zum Alten Rathaus danke ich Andrea Siebert,
M.A. Museumsassistenz des Ostfriesischen Teemuseums in Norden und
Malgorzata Bunse, Dipl.-Ing. Architektin
vom Architekturbüro Angelis & Partner in Oldenburg.
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