Fliesen und Fliesentableaus des 18. Jahrhunderts
aus Harlingen im Löwenhaus der Stadt Norden

 

Harlingen ist eine Hafenstadt und Gemeinde in der niederländischen Provinz Friesland.
Norden ist eine Stadt im Landkreis Aurich in Ostfriesland im Nordwesten Niedersachsens. Sie liegt unweit der Nordseeküste und ist die nordwestlichste Stadt auf dem deutschen Festland.

Das Löwenhaus (auch: Hof Seldenrüst) ist ein denkmalgeschütztes Gulfhaus des ostfriesischen Typs. Der Wohnbereich wurde 1789 und der Wirtschaftsbereich um 1860 erbaut. Bis 1919 war der Bauernhof ein Einzelgehöft innerhalb der früheren Sandbauernschaft und Sitz der Gemeindeverwaltung. Im Wohnbereich gibt es ein Zimmer mit Fliesen und Fliesentableaus des 18. Jahrhunderts aus Harlingen als Wandbekleidungen und großformatige Fayencekacheln in Zweitverwendung in der Herdnische.

Löwenhaus 01

Blick zur Ofenhaube und zur geschweiften Herdnische. Die Ofenhaube ziert ein Fliesengemälde im Format 79,2x79,2 cm inmitten von Fliesen im Format 13x13 cm der Art ‚kleine bloem‘.
In der gebogenen Ofennische wurden großformatige Kacheln in Zweitverwendung angesetzt.
Die Dekoration der glasierten Kacheln besteht aus geometrischem Muster in kobaltblauer Bemalung und manganfarben biblischen Darstellungen.

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Schiffstableau mit zwei Kriegsschiffen und einem Kofschiff.

Dieses Fliesengemälde schreibt Jan Pluis, der beste Kenner der niederländischen Fliese, dem Harlinger Fliesenmaler Meindert Jans Vogelzang zu.

Meindert Jans Vogelzang wurde am 1. Oktober 1761 geboren, heiratete 1789 Antje Martens und wohnte mit Frau und sechs Kinder auf dem St. Odolphisteeg in Harlingen. Meindert Jans arbeitete in der Werkstatt ‚Buiten der Kerkpoort‘ und starb am 14. März 1819 im Alter von 57 Jahren. Von ihm sind 135 Fliesentableaus dazu noch 22 bemalte Schüsseln und Zierkeramik dokumentiert. Von seinen 24 dokumentierten Schiffstableaus besteht das größte aus 70 Fliesen. Für die Malweise von Meindert Jans Vogelzang ist die Formation der Wolken mit dunklen Punkten im Kern und großen geschwungenen Linien als Ränder bezeichnend. X-förmige Vögel umkreisen bei seinen Schiffstableaus immer in großer Zahl die Schiffe.

Die ‚Plateel- en tegelbakkerij Buiten der Kerkpoort‘ produzierte von 1663 bis 1933.

Neben Meindert Jans Vogelzang sind die bekannten Fliesenmaler Pals Karsten und Jacob Dirks Danser für diese Werkstatt dokumentiert.

Löwenhaus 03
Detail aus Abbildung 02.

Das Kriegsschiff war mit zwei Reihen Kanonen unterschiedlichen Kalibers ausgerüstet.
Markant ist die äußerst präzise Darstellung von Details an Schiff und Takelage.
Die Ausführung von Wellen mit gepunkteter Bekrönung ist typisch für die Malweise von Meindert Jans Vogelzang.

Löwenhaus 04

In der Fliesenbekleidung gibt es ein Vielzahl Motive in recht eigenwilliger Anordnung.
Es sind zwei Vogelkäfige unterschiedlicher Bauart als Tableaus von jeweils 2x3 Fliesen an dieser Wand zu sehen. Leider wurde beim rechten Tableau eine zugehörige Fliese durch eine uni weiße Fliese ersetzt.

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Wandansicht mit Ziffern.

 

 

Auflistung der Motive mit ihren niederländischen Bezeichnungen:

1 Löwenhaus Roos op steel

2 Löwenhaus Grote bloem blauw

3 Löwenhaus Grote bloem groen

4 Löwenhaus Landschap in cirkel;
                       hoekmotief: spin

5 Löwenhaus Afrikaansveren

6 Löwenhaus Drietulp in accolades
                       met meanders

7 Löwenhaus Rozenster

8 Löwenhaus Wezen

9 Löwenhaus Kievitseitjes

 

 

 

Zwei Details von Wandflächen im Wohnraum mit Fliesen der Art ‚Rozenster‘

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Die grünen Dekorfliesen sind äußerst selten, besonders die der Art 'Rozenster'.

 

 

Detail einer Wandfläche im Wohnraum mit Fliesen der Art ‚Kievitseitjes‘

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Vogelkäfige

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Auch diese beiden Vogelkäfige mit gelben Kanarienvögeln auf jeweils sechs Fliesen können Meindert Jans Vogelzang zugeschrieben werden.

 

 

Türbereich

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Türbereich in der Wohnküche, ringsum mit diversen Motiven vom Boden bis zur Decke mit Fliesen bekleidet. Ein Teil der Fliesen ist Sonderanfertigung, alle Fliesen kamen aus Harlingen. Pilaster „De Pauwrank“ als Türrahmung. Das Haus ist am Giebel mit 1789 datiert, die Fliesen dürften gleiches Alter haben.
In den Fehlstellen der Fliesenbekleidung kann man feststellen, dass die Fliesen im Dickbettverfahren mit Kalkmörtel weitestgehend vollflächig angesetzt wurden.

 

Löwenhaus 12

Bauherr und Bauherrin verewigten sich mit ihren Monogrammen, den miteinander verbundenen Anfangsbuchstaben ihrer Vor- und Nachnamen.
Monogramme galten im 18. Jahrhundert als Zeichen kultivierter Lebensart. Im Haushalt waren Bett- und Leibwäsche, Tischdecken und Servietten mit Monogrammen als Besitzzeichen versehen.

 

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Der Hundekopf zwischen zwei Dekorfliesen ‚Roos op steel‘ war Teil eines Tableaus von 2x3 Fliesen.
Die friesischen Randfliesen mit Vogel und Blume wurden in Harlingen ‚Oude tulp en star met vogeltjes‘ genannt.

 

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Mühlentableaus kamen in Harlingen nach 1780 regelmäßig vor, meist in der Größe von vier, sechs oder neun Fliesen.
Dieses Fliesentableau kann, wie Schiffstableau, Vogelkäfige, Monogramme, Pilaster als Türrahmung und Hundekopf dem Fliesenmaler Meindert Jans Vogelzang zugeschrieben werden.

 

Löwenhaus 15

Ein Rätsel geben diese zwölf Fliesen als Teil eines Vorhanges auf. Es sind mit Sicherheit Fliesen in Zweitverwendung. Unklar bleiben Ort und Zweck im Objekt.
Die Fliesen zum linken Wandanschluss entsprechen dem Dekor ‚Kievitseitjes‘.

 

 

Löwenhaus 16



Im unteren linken Teil des Türpfostens gibt es neben einem Ausbesserungsbereich mit uni weißen Schnittfliesen zwei mir nicht bekannte Dekore, die Fliese mit Bogen und den aus vier Fliesen geformten Stern.
Die im Sockelbereich angesetzten Bibelfliesen entsprechen dem Dekor ‚Basterde historie in cirkel‘.
Anmerkung: Diese friesischen Bibelfliesen mit einfachen Personendarstellungen zwischen zwei kleinen Hügeln und kräftig ausgeprägten Bäumen im doppelten Kreis haben als Eckornamente den ‚ossenkop‘.

 

Löwenhaus 17

Das Löwenhaus in Norden befindet sich in Privatbesitz und ist daher nicht öffentlich zugänglich.

 

Bildnachweis
01-16 Rainer Marggraf unter Mitarbeit von Karl-Heinz Voth (1983)
17 Wikipedia

Benutzte Literatur
Ausstellungskatalog ‚Niederländische Wandfliesen in Nordwestdeutschland`, Bramsche 1984
Jan Pluis, Bijbeltegels – Bibelfliesen, Münster 1994
Jan Pluis, Fries Aardewerk, Harlingen, Producten 1720-1933, Leiden 2005
Jan Pluis, De Nederlandse Tegel Decors en benamingen 1570-1930, Leiden 2013
Wikipedia

Danksagung
Den Eheleuten Thomas gilt mein Dank für ihre Genehmigung zur Veröffentlichung des Berichtes.
Jan Pluis danke ich für vielfältige Hilfe.
Meinem Sohn Norbert danke ich für die Bearbeitung und Veröffentlichung.