FRÜHE EUROPÄISCHE BODENFLIESEN

Im Orient schmückte man schon in sehr früher Zeit, das heißt schon ca. 2000 v. Chr. die aus luftgetrockneten oder gebrannten Ziegeln erbauten Häuser mit Bodenbelägen aus Ziegelfliesen.
Durch die Römer wurden keramische Fußböden nördlich der Alpen bekannt und fanden Verbreitung. Die Anwendungsbereiche gingen vom einfachen Belag in untergeordneten Räumen bis zu beheizbaren Bodenbelägen aus Ziegelfliesen in Wohnräumen und Thermen. Mit dem Untergang des römischen Reiches geriet der keramische Bodenbelag mehr und mehr in Vergessen­heit.
Kalkmörtel- und Gipsestriche waren schon in römischer Zeit bekannt. Sie wurden später in der Regel statt keramischer Beläge in fränkische und karolingische Kirchen eingebracht. Diese Art Bodenbeläge hielt sich bis in das hohe Mittelalter.
Aus dem 12. und 13. Jahrhundert sind inkrustierte Estriche bekannt. Die Zeichnungen wurden in den erhärteten Estrich eingeritzt und die Vertiefungen mit eingefärbtem Mörtel gefüllt. Der vermutlich älteste Belag dieser Art liegt in der Benediktinerkirche von Helmstedt und stammt aus der Zeit um 1150.
Erst seit Begin des 12. Jahrhunderts fand die Keramik neben oder mit Naturstein Verwendung als Bodenbelag vor allem in Sakralräumen.

Vier Fliesen mit vertieft geprägtem Löwenmotiv aus dem Benediktinerkloster Weingarten.
Maße der Fliesen: 155 x 155 x 35 mm.
(Württembergisches Landesmuseum Stuttgart)

 

Vier Fliesen aus dem ehemaligen Benediktinerkloster Alpirsbach,
Flachrelief, 140 x 140 x 35 mm.
(Württembergisches Landesmuseum Stuttgart)

 

Die Verwendung von keramischem Material als Bodenbeläge ist in engem Zusammenhang mit den Kreuzzügen zu sehen, die kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen zwischen Orient und Abendland brachten.
Über die heutigen Gebiete Frankreich vor allem aber England drang die neuerliche Verwendung von Fliesen durch Mönchs- und Ritterorden nach Deutschland.

Zinna (Kreis Jüterbog)

Zisterzienser gründeten das Kloster Zinna im Jahr 1170. Die Kirchweihe erfolgte am 15. Mai 1226. Das Kloster erhielt den Namen seiner Schirmherrin, der Jungfrau Maria. Vom alten Bodenbelag sind noch einige Fliesen mit gotischen Majuskeln erhalten Zusammengesetzt ergeben die Buchstaben den Gruß des Engels: „AVE MARIA GRATIA PLENA DOMINUS TECUM BENEDICTA TU IN MULIERIBUS ET BENEDICTUS FRUCTUS VENTRIS TUI“ (Gegrüßet seist Du, Maria, voll der Gnade. Der Herr ist mit Dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes).

 

Sponheim (Kreis Bad Kreuznach)

Ehemalige Kirche des Benediktinerklosters, heute katholische Pfarrkirche St. Maria und St. Martin. Die Fliesenböden im Chorjoch und den Apsiden wurden wahrscheinlich im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts verlegt. Die Ausführung und Anordnung der Kreisrosetten ist mit denen in Pfaffen-Schwabenheim, Flonheim, Arnstein und Rommersdorf zu vergleichen.

Es finden sich drei Arten Lilienstäbe mit Quadrat, Kreis und Astroide in vertiefter Prägung als Verzierung von Einzelfliesen. Die quadratischen Fliesen haben die Maße: 80 x 80 x 23 mm

Link zum Bericht Mittelalterliche keramische Schmuckfußböden in der ehemaligen Klosterkirche St. Martin und St. Marien in Sponheim /Landkreis Bad Kreuznach  

 

 

Marburg / Lahn

Ehemaliges Schloss der Landgrafen von Hessen. Die 1288 geweihte Kapelle wurde von Handwerkern erbaut, die an der 1283 geweihten Elisabethkirche in Marburg gearbeitet hatten.

Marburg / Lahn

Kapelle im ehemaligen Schloss der Landgrafen von Hessen. Die Qualität der Fliesen und deren Verlegung lassen vermuten, dass in Frankreich geschulte Handwerker den keramischen Belag in der Marburger Schlosskapelle schufen.

Keramische Böden des hohen Mittelalters zeigen oft eine besondere Beziehung zum Orient. Als Ganzes ähneln sie neben- und übereinandergelegten orientalischen Teppichen.
Vielfältige Formate und Fliesen aus unterschiedlich farbig brennenden Tonsorten bilden Flächenmuster, die in der Regel auf Quadrat oder Kreis basieren.
Der Kreis spielte in Sakralräumen eine besondere Rolle. Ein schönes Beispiel für keramische Kreisornamente ist der Schmuckfußboden in der Pfarrkirche Sankt Pankratius in Königswinter - Oberpleis. Der leicht verzogene quadratische, von einer Bordüre eingefasste, keramische 'Teppich' zeigt durch Kreissysteme gebildet ein schematisches Kosmosbild.

Königswinter-Oberpleis
Nordöstliche Zwickelrosette vom spätmittelalterlichen Schmuckfußboden in der Kirche St. Pankratius

Spezialisten in der Fertigung mittelalterlicher Fliesen arbeiteten vor allem in Frankreich und England. Es gab eine Vielfalt von Dekorationsmöglichkeiten, mittels Malhorn bemalte und ornamentierte Bodenfliesen.
Die Relieffliese konnte mittels Negativmodel mit eingekerbtem Ornament im Gieß- und Pressverfahren hergestellt werden. Fliesen mit vertiefter Prägung wurden im Kerbschnitt- oder im Pressverfahren mit einem Stempel oder mehreren Stempeln gefertigt. Bei den inkrustierten Fliesen füllten die Keramiker die vertieft geprägten Motive mit andersfarbig brennendem Tonschlicker. Zum Teil wurden die vertieft geprägten Motive auch vom Verleger mit Mörtel verfüllt.
Von besonderer Bedeutung für die Ausbreitung keramischer Fußböden war der Orden der Zisterzienser.

Eltville im Rheingau

Die ehemalige Zisterzienser-Abtei Eberbach bietet eine Fülle von Beispielen mittelalterlicher Fliesenkeramik. Als Motive finden sich eingeprägte geometrische Figuren, Blattornamente. Löwen- und Adlerdarstellungen. Bei Grabungsarbeiten im ehemaligen Klostergelände fanden sich auch Fliesen mit reich ausgeführter, erhabener Rosettenaufteilung als Komposition auf vier Fliesen.

 

 

London, England

Detail eines mittelalterlichen Fliesenbodens im Westminster Abbey Chapter House (1259).

 

 

London, England

Ein unter Heinrich III. 1259 gefertigter Fliesenboden liegt noch in bemerkenswert gutem Zustand im Westminster Abbey Chapter House. Teil dieses Bodens sind vier Fliesen mit drei Löwen auf einem Wappenschild Heinrichs III.

 

 

Im 16. Jahrhundert setzte sich in der Dekoration von Fliesen ein stärkeres Naturempfinden durch. Taube, Hahn, Hunde und Delphin sind aus dunklem in helleren Ton eingelegt. Die Fliesen wurden abschließend mit einer durchscheinenden Bleiglasur überzogen. (Victoria & Albert Museum, London)

 

 

Diese vier heraldischen Fliesen stammen von einem Fußboden in Schloss Thornbury , dessen Bau Edward, der letzte Herzog von Buckingham aus der Familie Stafford, 1511 beginnen ließ und der noch nicht vollendet war, als Heinrich VIII. den Herzog 1521 gefangen setzte. Die Fliesen zeigen Wappenteile Heinrichs VI.: die angekettete Antilope, die flammende Nabe von Buckingham und die Bohumschen Schwäne mit der Kette. (Victoria & Albert Museum, London)

 

 

 

Köln
Petrusfenster (1509) im nördlichen Seitenschiff des Kölner Doms

Die Anzahl in situ liegender mittelalterlicher Fliesenböden ist gering. Darstellungen von Fliesen auf Kirchenfenstern und Gemälden erweitern die Kenntnis ihrer Motive und Verwendung.