Wilhelm Joliet |
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Fliesenbekleidungen des 18. Jahrhunderts
in der Igreja da Misericórdia in Évora
Évora ist eine Stadt im Alentejo in Portugal, deren historisches Zentrum
1986 in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen wurde. Sie ist
die Hauptstadt des gleichnamigen Distrikts. Außerdem ist sie Sitz des
Erzbistums Évora und einer staatlichen Universität.
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Aussenansicht der Kirche
Die Igreja da Misericórdia (Kirche der Barmherzigkeit) ist ein wichtiges
religiöses Denkmal der Stadt Évora und befindet sich in Largo da
Misericórdia, Gemeinde Sé e São Pedro.
Die Gründung des Klosters Santa Casa da Misericórdia de Évora geht auf den
7. Dezember 1499 zurück. Es wurde von König Manuel I., seiner Frau Königin
Maria und seiner Schwester, der Königinwitwe Leonor, gestiftet.
Nachdem es seinen ersten Platz in der Capela de São Joãozinho (neben dem
Kloster von São Francisco) hatte, wurde es bereits in der Regierungszeit von
D. João III. an den heutigen Ort verlegt. Der Grundstein der Kirche wurde
1554 gelegt.
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Portal der Kirche
Die Kirche mit einem einzigen Schiff und schlichten Proportionen
präsentiert eine majestätische Sammlung barocker Kunst aus dem 17.
und 18. Jahrhundert. Sie ist eine der schönsten Kirchen der Stadt
Évora.
Die Seitenwände sind mit wunderschönen Paneelen aus blau-weißen
Fliesen bedeckt. Sie werden von Ölgemälden gekrönt, die jeweils die
spirituellen und materiellen Werke der Barmherzigkeit darstellen.
Innenansichten des Kirchenschiffs
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Panoramafoto des Kirchenschiffs
Fliesen- und Ölgemälde beziehen sich auf Werke der Barmherzigkeit
Werke der Barmherzigkeit
Die katholische Kirche unterscheidet zwischen sieben geistlichen und sieben
leiblichen Werken.
Geistliche Werke der Barmherzigkeit:
Unwissende lehren / Zweifelnde beraten / Trauernde trösten / Sünder
zurechtweisen /
Beleidigern verzeihen / Lästige ertragen / für die Lebenden und Verstorbenen
beten.
Leibliche Werke der Barmherzigkeit:
Hungrige speisen / Obdachlose beherbergen / Nackte bekleiden / Kranke
besuchen /
Gefangene besuchen / Tote begraben / Almosen geben.
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Blick in das Innere des Kirchenschiffs
Die Fliesenwände von Evangelienseite (linke Seite) und Epistelseite (rechte
Seite) werden von Ölgemälden in vergoldeten Rahmungen gekrönt. Der
vergoldete Hochaltar füllt die Apsis vollständig.
Die ‚talha dourada‘, eine vergoldete Holzschnitzarbeit, ist neben
‚azulejos‘, den meist blau auf weißem Grund bemalten Fliesen, eine der
originellsten und reichhaltigsten künstlerischen Ausdrucksformen Portugals.
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Bestuhlung der Kirche
Auf der rechten Seite steht eine Empore mit Sitzplätzen, wo die Mitglieder
der Bruderschaft während feierlicher Zeremonien Platz nehmen.
Fliesengemälde auf der linken, der Evangelienseite
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Bergpredigt (Matthäus 5:1-3 /
Lukas 6:20)
Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich
und seine Jünger traten zu ihm. Dann begann er zu reden und lehrte sie. Er
sagte:
„Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.“
Obdachlose beherbergen / Nackte bekleiden / Hungrige speisen
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Auferweckung des Lazarus
(Johannes 11:43, 44)
Zweifelnde beraten / Trauernde und Trostlose trösten
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Jesus vertreibt die Händler aus dem Tempel (Johannes 2:14,15 / Lukas 19:45.
46 / Markus 11:15 / Matthäus 21:12,13)
Sünder zurechtweisen / Almosen geben
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Santo António Eremita
Der heilige Antonius war ein christlicher ägyptischer Mönch, Asket
und Einsiedler. Sein Tod wird für das Jahr 356 n. Chr. angegeben.
Antonius gilt als Begründer des christlichen Mönchtums. Er gründete
während der diokletianischen Christenverfolgungen die ersten losen
Zusammenschlüsse von getrennt lebenden Einsiedlern.
Anläßlich einer Ende des 11. Jahrhunderts auftretenden Seuche suchte
man Hilfe bei den Reliquien des heiligen Antonius. Der daraufhin
gegründete Antoniter-Orden
verbreitete sich im Dienste der Krankenpflege während des
Mittelalters in ganz Europa.
Vorlage für das Fliesenbild ‚Heiliger Einsiedler Antonius‘ war die grafische
Darstellung des Eremiten Ciomus, einem Schüler des heiligen Antonius, aus
der ‚Solitudo sive vitae patrum eremicolarum‘.
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Ciomus der Einsiedler,
Johann Sadeler (1), nach Maerten de Vos, 1583-1588 Antwerpen, 174 x
210 mm. Rijksmuseum Amsterdam RP-P-1890-A-16019.
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São Paulo Eremita
Paulus von Theben (+ um 341 in der ägyptischen Wüste) begegnete
angeblich dem Einsiedler Antonius.
1381 kamen Reliquien des Paulus von Theben nach Buda, dem heutigen
Stadtteil von Budapest in Ungarn.
1250 wurde in Ungarn der Pauliner-Orden gegründet.
Auf dem Berg Sinai bauten die Pauliner-Mönche ein Kloster, das bis
heute existiert.
Fliesengemälde auf der rechten, der Epistelseite
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Blick auf Altar und Epistelseite
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Vom Ernst der Nachfolge (Matthäus 8:18-22)
Jesus erwiderte ihm: „Folge mir nach und laß die Toten ihre Toten begraben!“
Zu Gott für die Lebenden und Toten beten / Tote begraben
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Das ungläubige Nazareth (Markus 6:4)
Jesus aber sprach zu ihnen: „Ein Prophet ist nirgends so wenig geachtet wie
in seiner Vaterstadt, bei seinen Verwandten und in seinem Hause.“
Beleidigern verzeihen / Lästige ertragen
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Gastmahl bei einem Pharisäer
Eine Sünderin salbt Jesus die Füße
(Lukas 7:37,38 / Johannes 12:3)
Unwissende lehren / Sündern
verzeihen
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S. Maria Egypciaca
Maria von Ägypten war eine altkirchliche Eremitin und wird in der
römisch-katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen als Heilige
verehrt. Über ihr Leben ist nur Legendarisches überliefert. Ihr Bild
findet man oft als Patronin der Büßenden über Beichtstühlen.
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Grafische Vorlage für das Fliesengemälde.
Bildunterschrift: Gloria Eremitici non parva Maria roseti,
Sat tibi tuta salus; Vita
rigôre cluet
Rijksmuseum Amsterdam, RP-P-BI-2296
Stich von Boëtius Adamsz. Bolswert nach einem Entwurf von Abraham
Bloemaert, 142 x 88 mm, in Sacra Eremus Ascetriarum, Antwerpen 1619.
Stich 9 ist Teil einer Serie von fünfundzwanzig Einsiedlerinnen in
dieser Ausgabe.
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S. Tais
Die heiligeThais lebte
der Legende nach im 4. Jahrhundert als
Kurtisane in der ägyptischen Wüste, wo sie von Paphnutius von
Ägypten zum Christentum bekehrt wurde. Drei Jahre büßte sie als
heiligmäßige Eremitin, bevor sie starb.
Die heilige Thais wird gemeinsam mit der heiligen Pelagia (eine der
großen Büßerinnen) als Patronin reuiger Dirnen verehrt.
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Vorlage für das Fliesenbild ‚S. Tais‘ war die grafische
Darstellung der heiligen Eremitin Sara.
Stich von Boëtius Adamsz. Bolswert nach einem Entwurf von Abraham
Bloemaert, 140 x 89 mm. Druck aus Sacra Eremus Ascetriarum,
Hendrik Aertssen, Antwerpen 1619.
Stich 25 ist Teil der Serie von fünfundzwanzig Einsiedlerinnen in
dieser Ausgabe.
Rijksmuseum Amsterdam RP-P-OB-26.704.
Sara die Eremitin (* 4. Jahrhundert in Ägypten- † 4. oder 5.
Jahrhundert in Ägypten) wird
in der
römisch-katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen als Heilige
verehrt.
Vier emblematische Fliesentableaus vor dem Podest des Hochaltars
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Die Tableaus vor dem Podest des Hochaltars werden dem Fliesenmaler
Teotónio dos Santos (1688-1762) zugeschrieben.
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FVNCTIONES MISERICORDIA (E)
CAVSAS MILLE SALVTIS HASET
- Kranke besuchen –
- Kranke heilen –
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…CIRE DETENTOS E OSINIS FOVET
CLAVSIS ALIMEN…
MINISTRAT
- Gefangene besuchen –
- Obdachlose beherbergen -
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EXPOSITOS NVTRIT
FAETVS ALIENOS SVMIT ALENDOS
- Nackte bekleiden –
- Hungrige speisen –
- Almosen geben -
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LANGVIDOS IN XENODOCHIVM BAIVLAT
HOC VILI PONDERE CRESCIT
- Tote begraben –
- für Lebende und Tote beten -
Informationen zu den Fliesengemälden gemäß Bauakten
In Bauakten der Kirche findet man auch viele Notizen zu den Fliesengemälden.
So geht die Bestellung der Fliesen auf den Dezember 1714 zurück, also neun
Monate vor dem am 21. September 1715 zwischen dem Kloster und dem
Fliesenproduzenten Manuel Borges aus Lissabon abgeschlossenen Vertrag.
In diesem Vertrag legte das Baubüro mit den Fliesengemälden zu bekleidende
Flächen, die Thematik der Barmherzigkeit für die zu malenden Motive und die
geforderte Qualität der Fliesen fest. Im Vertrag festgelegt wurden auch
Bedingungen sowohl für Zahlungen an Manuel Borges als auch für Ausgaben an
Material und Zahlungen an das Ansetzen der Fliesen beteiligte Personen.
Federführend für das Baubüro zeichnete Manuel Duarte de Oliveira.
In Bezug auf den Transport der Fliesen belegen die Bauakten, dass bei Aldeia
Galega der Fluss Tejo überquert wurde und die Fliesen auf Karren bis Évora
transportiert wurden.
Die im Vertrag festgelegten Fristen waren ausdrücklich festgelegt. Bis
spätestens zum 2. Juli mußten die Fliesenarbeiten im Chorbereich
fertiggestellt sein. Wegen des Umfangs der Fliesenflächen im Kirchenschiff
wurde deren Fertigstellung für den Beginn der Fastenzeit festgelegt. Manuel
Borges, der im Distrikt Janelas Verdes der Stadt Lissabon seine
Fliesenwerkstatt betrieb, arbeitete vorzugsweise mit dem Fliesenmaler
António de Oliveira Bernardes, dem das Fliesenensemble der
Misericórdia-Kirche zugeschrieben wird.
Die letzten Fliesengemälde wurden 1716 angesetzt, wie die neben dem Chor
gemalte Jahreszahl angibt.
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Gemäß Bauakten waren die Auftraggeber so zufrieden, dass sie Manuel Borges
im Mai 1716 mit zwei Dutzend Käsesorten im Wert von viertausendachthundert
Réis belohnten.
Bildmaterial
©
Igreja Misericórdia Évora, Galeria Azulejos
©
Rijksmuseum Amsterdam
Benutzte Literatur
António Celso Mangucci, Igreja da Misericórdia Évora, PDFAcademia 2014
António Celso Mangucci, A Igreja da Misericórdia Évora, PDFAcademia 2018
Die Heilige Schrift, Neues Testament
Wikipedia
Ich danke Herrn Dr. Francisco Lopez von der Santa Casa da Misericórdia de
Èvora für seine Genehmigung zur Übernahme und Veröffentlichung der Fotos.
Meinem Sohn Norbert danke ich für Überarbeitung und Veröffentlichung des
Berichtes im Internet.
Igreja da Misericórdia Évora
Rua da Misericórdia, 5
7000-646 Évora
Santa Casa da Misericórdia de Évora
Rua Mendo Estevens, 6
7000-865 Évora
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